Mithilfe von Kindern und Jugendlichen im Haushalt oder bei der Feldarbeit ist in manchen anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit, auch deutlich über das in Deutschland übliche Maß hinaus. Diese Erkenntnis brachten Lea Helfrich und Margarete Seimer (beide 20 Jahre) aus Ecuador bzw. Kamerun mit. Dort haben sich die beiden jungen Frauen im entwicklungspolitischen Freiwilligendienst engagiert.
Bei einem virtuellen Gesprächsabend, zu dem Pfarrer Uwe Steuber von der Evangelischen Kirchengemeinde Marienkirche Gelnhausen gemeinsam mit Brot für die Welt eingeladen hatte, berichteten die beiden von ihren Erfahrungen und diskutierten mit Brot für die Welt-Expertin Christina Margenfeld. Moderiert hat Tillmann Elliesen vom entwicklungspolitischen Magazin welt-sichten.
152 Millionen Kinder weltweit leisten Erwerbsarbeit
Einführend präsentierte Christina Margenfeld aufrüttelnde Fakten. So müssen derzeit nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) weltweit rund 152 Millionen Kinder durch Kinderarbeit zum Familienunterhalt beitragen, etwa jedes 10. Kind. Nahezu die Hälfte dieser Kinder ist noch im Grundschulalter. Dabei ist Kinderarbeit in fast allen Ländern der Erde verboten. Die Bandbreite der von Kindern ausgeübten Tätigkeiten ist laut Margenfeld groß und reicht von Mithilfe im Haushalt oder auf dem Feld über Dienstleistungen wie Verkaufstätigkeiten auf dem Markt bis hin zu den schlimmsten Formen wie Arbeit in Minen, Kindersklaverei, Prostitution oder dem Einsatz von Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten. Die Hauptursachen sieht die Brot für die Welt-Expertin in mangelnder Bildung der Eltern und extremer Armut in vielen Ländern des globalen Südens.
Arbeitende Kinder können oft die Schule nicht besuchen
Margarete Seimer, die ihren Freiwilligendienst in einem Krankenhaus in Kamerun leistete, berichtete von einer Essenseinladung bei einer Kollegin. Dort seien sie von einem 14jährigen Mädchen bedient worden, das täglich rund zehn Stunden im Haushalt der Kollegin arbeitet und deren zwei kleine Kinder betreut, um sich den Besuch der Abendschule leisten zu können.
Wichtig ist den beiden jungen Frauen, den Umgang mit Kindern in ihren Gastländern im kulturellen Kontext zu betrachten. So fragt Lea Helfrich: „Wer bin ich, mir ein Urteil zu bilden?“ In Ecuador gab sie Englischunterricht an einer Schule. Dort erlebte sie regelmäßig, dass Kinder fehlten, weil sie z.B. in der Landwirtschaft der Familie mithelfen oder jüngere Geschwister betreuen mussten. Dies habe sie aber vor Ort nicht als ungewöhnlich empfunden, weil Kinder und Jugendliche in Ecuador viel selbstverständlicher in die Erwerbsarbeit der Familie einbezogen würden. Erst zurück in Deutschland habe sie dies als Kinderarbeit wahrgenommen.
Bildung und Armutsbekämpfung sind wichtige Lösungsansätze
Einigkeit herrschte, dass Bildung und Aufklärung wichtige Lösungsansätze darstellen. Auch müssten Familien ohne Erwerbsarbeit der Kinder ausreichende Einkommen erzielen können. Hier sieht Christina Margenfeld auch die politisch Verantwortlichen in den Industrieländern in der Pflicht: „Die Politik muss Anreize für nachhaltige Produktion schaffen! Dafür ist ein Lieferkettengesetz erforderlich“, so Margenfeld.
Wichtig sei es auch, das weltweite Bewusstsein im Hinblick auf ausbeuterische Kinderarbeit zu stärken. In diesem Zusammenhang stellte sie auch die globale Bildungskampagne „100 Millionen“ vor, die Jugendliche für Kinderarbeit sensibilisieren will.
Landeskirchliche Eröffnung in Gelnhausen
Die Veranstaltung stand im Kontext der landeskirchlichen Eröffnung der 62. Aktion Brot für die Welt in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Nassau und Hessen und Nassau. Diese steht unter dem Motto „Kindern Zukunft schenken“. Der Festgottesdienst zur landeskirchlichen Eröffnung mit Bischöfin Dr. Beate Hofmann findet am 29.11.2020 um 10.00 Uhr in der Marienkirche Gelnhausen statt. Ein Mitschnitt der Gesprächsrunde ist hier abrufbar.