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Geflohene haben ein Recht auf Privatsphäre

Handys sind auf der Flucht wichtige Hilfsmittel. Zum Schutz der Privatsphäre hat das Bundesverwaltungsgericht die routinemäße Auswertung von Handydaten durch das BAMF als rechtswidrig erklärt. Doch jetzt will der Bundestag mit einem neuen Gesetz die Rechte Geflüchteter weiter einschränken.

 

Von Brot für die Welt Jugendausschuss am
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Staatliche Überwachung nur mit guten Gründen

Wer in Deutschland ein Handy im Alltag benutzt, muss sich normalerweise keine Gedanken über staatliche Überwachung machen. Im Heimatland der Datenschutz-Grundverordnung und der Google Street-view Proteste ist Datenschutz ein wichtiges Anliegen. Die Rechte an den eigenen digitalen Daten sind als Teil der persönlichen Privatsphäre durch das Grundgesetz geschützt. Entsprechend hoch sind die rechtlichen Hürden für das Auslesen privater Daten. So muss für die Beschlagnahmung und Auswertung eines Handys ein Durchsuchungsbefehl und damit ein gut begründeter Verdacht oder eine besondere Gefahr vorliegen.

Für nach Deutschland einreisende Schutzsuchende ist der erste Eindruck ein anderer. Seit 2017 werden sowohl an den EU- als auch an den deutschen Grenzen ankommende Menschen nach ihrem Handy gefragt. Das BAMF kann neu ankommenden Schutzsuchenden bei der Registrierung routinemäßig ihr Handy abnehmen, wenn sie keinen Pass- oder Passersatz vorlegen können.

Die Rolle des Handys auf der Flucht

Dabei hat das Smartphone auf der Flucht für die Menschen eine wgroße Bedeutung. Auf den langen und unsicheren Fluchtrouten ermöglicht ein Smartphone Kommunikation, Navigation und das Mitnehmen wichtiger Dokumente. Häufig dokumentieren Handys die Stationen und oftmals belastenden Vorfälle auf der Flucht. Dementsprechend lassen sich in den Handys geflüchteter Menschen zahlreiche Informationen über das Privatleben der Betroffenen und deren Umfeld finden. Informationen, die durch das Grundgesetz geschützt werden sollten. Stattdessen wird diese Vielfalt an Daten von Sprachnachrichten über Suchverläufe bis zu Fotos ausgelesen, durch einen öffentlich unbekannten Algorithmus zu einem Bericht zusammengefügt und für eventuelle Verwendung gespeichert.

Starke Verletzung der Privatsphäre

Betroffene nehmen diese Erfahrung oft als starke Verletzung ihrer Privatsphäre wahr. So berichtet Mohammad A. über eine Überprüfung seines Asylstatus: „Auf einmal hat der BAMF-Mitarbeiter zu mir gesagt, ich soll mein Handy rausgeben und entsperren. Ich wusste überhaupt nicht, was da genau passiert, man hat mir nichts erklärt. Aber ich hatte Angst, abgeschoben zu werden. Also habe ich ihm das Handy gegeben. Das war, als würde ich mein ganzes Leben über den Tisch reichen.“

Rechtswidrige Praxis ohne konkreten Nutzen

Laut offizieller Stellungnahme soll durch dieses Vorgehen die korrekte Identifizierung der Ankommenden erreicht werden. Besonders die Herkunft und Fluchtgeschichte ist entscheidend für die Aussicht auf Schutz. Kann kein gültiges Ausweisdokument vorgelegt werden, ist eine Abschiebung bis zur Identifizierung der Person ausgeschlossen. In diesem Fall sollen Handydaten Aufschluss über die Person geben. Kommt es im Verlauf eines Asylverfahrens zu Zweifeln an der selbst angegeben Biographie, wird das erstellte Profil zudem als Beweismittel verwendet – zumeist zum Nachteil der geflohenen Person.

Wie genau welche gesammelten Informationen zu einem Profil zusammengefügt werden, ist weder für die Betroffenen noch für die Öffentlichkeit transparent. Bekannt ist, dass Passwörter umgangen und intransparente, fehleranfällige Machine Learning-Algorithmen eingesetzt werden. Auf Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen konnte die Bundesregierung lediglich die Hersteller der genutzten Auslesesysteme nennen. Diese haben „Forensiklösungen“ für Grenzkontrollen als aussichtsreichen Markt begriffen. Auf seiner Homepage verspricht der IT-Dienstleister MSAB, die Handydatenauslese stelle in vielen Fällen die zuverlässigste Methode dar, die Identität einer Person zu bestätigen. Ihre Systeme unterstützen demnach die Beamten, „Ordnung und Sicherheit zu bewahren“. Die Statistik zeigt ein anderes Bild.  2022 wurden aufgrund einer parlamentarischen Anfrage die Zahlen ermittelt. Von 2018 bis 2020  kam nur ein Viertel der ausgewerteten Handydurchsuchungen überhaupt zum Einsatz in einem Asylverfahren. In der Praxis deckt sich die Handydatenauswertung nahezu immer mit den eigenen Angaben der Betroffenen. In 64 % aller Fälle produziert die Handydatenanalyse sogar fehlerhafte bis unbrauchbare Ergebnisse.

Die Nichtregierungsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) weist auf Lücken in der genutzten Software hin. So können zum Beispiel neu angeschaffte oder geteilte Geräte nicht ausgewertet werden. Kurz: Die Handydatenauswertung bietet keinen Mehrwert. Stattdessen verletzt sie die Privatsphäre Geflohener und vergrößert die Ungleichheit.

Widerstand gegen unbegründete Überwachung

Einige Betroffene haben die zweifelhafte Rechtsgrundlage erkannt und wehren sich gemeinsam mit Jurist*innen der GFF gegen die Praxis der Handydatenauslese. Seit 2021 führen Betroffene an verschiedenen deutschen Gerichten Klagen gegen das BAMF durch. Im Februar 2023 klärte das Bundesverwaltungsgericht endgültig: Die routinemäßige Auswertung von Handydaten ist in der aktuell angewandten Form rechtswidrig. Die Handydaten dürfen nur ausgewertet werden, wenn keine milderen Mittel zur Identifikation einer Person vorhanden sind. Dies muss geprüft werden, bevor es zu einer Auswertung der gesammelten Daten kommt. Eine rechtlich sichere Handydatenauslese erfordert nun die begründete Abwägung einer Volljurist*in.

Beendet hat das Urteil die Handydatenauslese noch nicht. Zumindest wurde der Anteil der davon betroffenen Geflohenen von 10,6% auf 5,9% nahezu halbiert.

Erkämpfte Rechte in Gefahr

Die erkämpften rechtlichen Verbesserungen sind durch die aktuelle Gesetzgebung bedroht. In diesen Tagen verhandelt der Bundestag ein „Gesetz zur Verbesserung der Rückführung“. Auch auf Druck der Opposition und Öffentlichkeit soll ein Maßnahmenkatalog beschlossen werden, der das Recht auf Asyl einschränkt und Asylbewerber*innen weiter benachteiligt. Neben schnellerer Abschiebung ist auch die Privatsphäre Geflohener betroffen. Die Handydatenauslese soll an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts angepasst und weitergeführt werden. Nun ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen, in dem die Daten routinemäßig ausgelesen und auf Vorrat gespeichert und bei Bedarf ausgewertet werden. Die Datenauslese soll sogar auf Clouddienste ausgeweitet werden. Das bedeutet, dass auch extern gespeicherte Dokumente oder Fotos (beispielsweise auf Google-Diensten) zugänglich werden. Wenn die Betroffenen ihr Handy beim BAMF-Termin nicht dabeihaben, soll es künftig möglich sein, ihr Zimmer in der Unterkunft zu durchsuchen, um das Handy zu finden. Die Möglichkeiten für Schutzsuchende, private Daten vor der Auslese zu schützen, schrumpfen mit diesen Maßnahmen weiter.

Grundrecht auf Privatsphäre für alle

Die Brot für die Welt Jugend ist der Meinung, dass Privatsphäre im digitalen Bereich ein wichtiges Grundrecht ist. Dieses Recht sollte unabhängig von der Fluchtgeschichte gelten. Deshalb unterstützen wir die juristische Arbeit der GFF. Die Rechte fliehender Menschen dürfen in den aktuellen Diskussionen über Migration nicht vergessen werden. Schutzsuchende werden immer häufiger pauschal verdächtigt und verurteilt, als sei die Flucht illegal. Wenn Deutschland seiner Verantwortung im Asylrecht gerecht werden will, darf die Ausweitung der Handydatenauslese im Rahmen des Gesetzes nicht beschlossen werden.

Text von der AG Migration, Brot für die Welt Jugend