Politik-Brief

Die Themen des Bundestagswahlkampfs scheinen aus der Zeit gefallen, seltsam verengt auf nationale Interessen. Beispiel Migration: Die Debatten klingen, als würde eine globale Flüchtlingsbewegung vor allem unser Land ansteuern. Dabei finden Dreiviertel der weltweit 120 Millionen Geflüchteten Schutz in Ländern des Globalen Südens. Wer redet über deren Belastung? Und was ist eigentlich mit der Agenda 2030? 193 Staaten haben sich auf 17 sensationelle, nachhaltige Entwicklungsziele geeinigt. Dieser Weltzukunftsvertrag weist in die richtige Richtung, er hat einen ganzheitlichen Ansatz, den eine global vernetzte Menschheit braucht. Zeit, dass sich unser Blick wieder weitet. Spätestens Sonntag, in der Wahlkabine, fordert Anja Esch

Ob Taufe, Hochzeit, Trauerfall oder regelmäßiger Gottesdienst – Kirchen bieten Milliarden Menschen Raum für Spiritualität und Begegnung. Deshalb, weil sie die freudigen und traurigen Momente, die Bedarfe und Wünsche der Mitglieder von Gemeinschaften weltweit kennen, sind sie auch ideale Mittler für Internationale Zusammenarbeit. Tausende Projekte belegen das. Die Bedeutung ökomenischer Netzwerke wird weiter steigen, weil autokratische Regierungen den Gestaltungsraum der Zivilgesellschaft mehr und mehr einschränken. Umso wichtiger ist es, dass wir uns kritischen Fragen zu unserer Macht stellen,
analysieren Lydia Funck und Martin Krieg

Demokratie ist ein hohes Gut. Doch erst vereint mit den Menschenrechten verpflichtet sie Regierungen, jede*n einzelne*n Bürger*in vor Repression und Diskriminierung zu schützen und Voraussetzungen zu schaffen für ein Leben in Würde. Darum brauchen wir beides. Populisten etwa, die sich als Hüter der Demokratie aufspielen, sind selten Menschenrechtsfreunde. Doch wie bekommen und erhalten wir es, dieses wunderbare Doppelpack? Wie setzen wir es durch? Über Diffamierung, Drangsalierung und Kriminalisierung von Menschenrechtler*innen in Demokratien. Über den rechtmäßigen Anspruch aller Menschen auf eine Utopie. Und was jede*r Einzelne tun kann.
Von Silke Pfeiffer

Die Berliner Kolonialkonferenz vor 140 Jahren gilt als offizieller Auftakt hemmungsloser Raubwirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Doch die Kolonialmächte plünderten nicht nur Rohstoffe – sie unterdrückten auch indigene Kulturen, Wissen und Spiritualität. Entscheidenden Anteil daran hatten Missionar*innen, die Afrikaner*innen unter dem Deckmantel „Zivilisation“ christliche Werte teilweise gewaltvoll aufdrängten. Als kirchliche Organisation sind wir bei Brot für die Welt Erb*innen dieser unrühmlichen Vergangenheit – und hinterfragen unsere Arbeit: Sollten wir wirklich versuchen, andere zu „entwickeln“? Glauben wir immer noch, Dinge besser zu können oder zu wissen? Wie dekolonial sind wir heute?
Von Valerie Viban

Trump in den USA, Ampel-Aus in Berlin: Wir stehen vor wichtigen Entscheidungen. Eine der zentralen Fragen lautet: Wollen wir als reiches Industrieland Mauern hochziehen und uns abschotten? Gefährlichen Populisten in eine gespenstische Sackgasse folgen? Oder wollen wir weiterhin Verantwortung für globale Gerechtigkeit übernehmen? Deutschland spielt seit vielen Jahren eine wichtige Rolle in der internationalen Zusammenarbeit. Das dürfen wir nicht aufgeben – gerade jetzt, da die politischen Ungewissheiten wachsen. Wichtigster Hebel dabei: die Zivilgesellschaft stärken und ihre mutigen Akteur*innen.
Ein Plädoyer von Jörn Grävingholt

Kaffee, Schokolade, T-Shirts – wenn von Fair Trade die Rede ist, denken die meisten Deutschen an Produkte wie diese, vor allem aus Übersee. Im südlichen Afrika bedeutet Fair Trade dagegen Stärkung der Binnenwirtschaft. Die Unternehmensberaterin Musa Mpofu erzählt, wie sie junge, von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen ermutigt, innovativ zu denken und lokale Unternehmen aufzubauen. Und dass es beim Fairen Handel nicht um Wohltätigkeit geht.
Von Kai Schächtele

Um fast eine Milliarde Euro soll der Etat des Entwicklungsministeriums sinken, so der Plan der Bundesregierung. Was wären die Folgen? Nicht nur müssten einzelne Partnerorganisationen von Brot für die Welt im Globalen Süden ihre Arbeit stark einschränken, auch die globale Zivilgesellschaft insgesamt würde stark geschwächt, sagt Kathrin Strobel. Die Leiterin des Bereichs Internationale Programme bei Brot für die Welt erklärt im Interview, wie gute Entwicklungszusammenarbeit Gesellschaften stabilisieren und demokratisieren, die Rolle Deutschlands in der Welt und damit auch die heimische Wirtschaft stärken kann. Wie die zunehmende Kluft zwischen Reichen und Armen hierzulande Unsicherheit und Verantwortungslosigkeit für den Rest der Welt erzeugt. Und welche Quellen sie anzapfen würde, um eine Welt zu entwickeln, „in der wir leben wollen“. Das Interview führte Kai Schächtele

Die Bundesregierung will den Entwicklungsetat so radikal kürzen wie keine Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg. Kurzfristig spart sie damit Geld. Doch wer etwas weiter blickt, erkennt schnell: Diese Rotstift-Politik wird uns teuer zu stehen kommen. Einerseits finanziell. Aber auch politisch ist sie unklug. Wie und warum, das hat Präsidentin Dagmar Pruin bei der Veröffentlichung der Jahresbilanz von Brot für die Welt erläutert. Die derzeitige deutsche Schneckenhaus-Mentalität verkenne, wie wertvoll Investitionen im Globalen Süden seien. Die Unterstützung von Armen und Ausgegrenzten, Geflüchteten und Kriegstraumatisierten, Hilfen zur Anpassung an den Klimawandel und zu nachhaltiger Landwirtschaft stärken Zivilgesellschaften und demokratische Strukturen weltweit. Und damit den Frieden.
Auszüge aus der Rede von Dagmar Pruin

Etwa ein Drittel der Ozeane soll unter Schutz gestellt werden. Das klingt gut. Industrielle Überfischung, Ölbohrungen, Tiefseebergbau, Vermüllung und Einleitung von Abwässern müssen bekämpft werden, sie schädigen die maritime Artenvielfalt. Doch ein komplettes Fischfangverbot träfe die Falschen: Die handwerkliche Kleinfischerei in Küstennähe ernährt weltweit Millionen Menschen. Wie lassen sich tradierte Fangrechte mit dem Schutz der Meere vereinen? Wofür setzt sich Brot für die Welt ein? Und welche Rolle spielt die „Blue Economy“?
Von Francisco Marí

Wie lässt sich die Klimakrise wirksam bekämpfen? Sollte Europa mit undemokratischen Regimen in Afrika zusammenarbeiten? Wie begegnen wir Migrant:innen? Besonders mit Blick auf die EU-Wahl am 9. Juni wünschen sich Bürger:innen von der Poltik konkrete Antworten zu solchen entscheidenden Fragen. Darum haben wir Vertreter:innen von SPD, Grünen, FDP, CDU und Linken eingeladen – und es wurde konkret. In der zum Teil hitzigen Debatte ging es um „globale CO2-Bepreisung“ und eine „Klimakrisen-Vermögenssteuer“, um den Sinn von Waffen zur Gewährleistung von Stabilität und die Frage, ob Migration illegal oder eher notwendig sei.
Thorsten Herdickerhoff hat für uns die zentralen Aussagen notiert