als ich kürzlich einer Frau in der S-Bahn eine Obdachlosenzeitung abkaufte, dachte ich, das ist eine jener asymmetrischen Begegnungen, wie sie sich jeden Tag auf dieser Welt millionenfach ereignen: Ein relativ wohlhabender Mensch mit regelmäßigem Einkommen trifft auf einen Menschen, der nicht mal ein festes Dach über dem Kopf hat. Die zwei Euro, die ich gab, waren dennoch kein Almosen. Dafür sorgte die Zeitung, die sie mir als Gegenleistung in die Hand drückte, viel mehr aber, dass sie mir Gesundheit und eine schöne Adventszeit wünschte. Die Frau strahlte Würde aus – und ich hatte das Gefühl, mehr bekommen als gegeben zu haben. Sicher, die Asymmetrie schwindet dadurch nicht – genauso wenig wie die vielen schreienden Ungerechtigkeiten, die die Welt prägen. Angesichts derer man verzweifeln kann. Oder die zu Gegenentwürfen führen. Was mich dabei leitet, in alltäglichen Begegnungen wie in der politischen Arbeit bei Brot für die Welt, ist die kraftvolle Idee, dass alle Menschen frei und gleich sind an Würde und Rechten. Am 10. Dezember 1948 haben sich die Vereinten Nationen mit der Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet – ein wahnsinnig hohes Gut, erwachsen aus der globalen Erfahrung historisch beispielloser Grausamkeiten, verübt von Menschen. Blicke nach Syrien, Gaza, in die Ukraine und viele andere Länder der Welt zeigen, dass die Menschheit auch 76 Jahre später vor menschengemachten Grausamkeiten alles andere als gefeit ist. Wir haben aber ein starkes Instrumentarium, um Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts konsequent aufzuarbeiten. Wir müssen es nur nutzen. Dass die Menschenrechte zu wenig im Blick sind, können wir auch hierzulande beobachten. Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, sagt etwa ein Parteichef, täten uns ein bisschen Musk und Milei gut. Mit welch gewaltsamen Mitteln der argentinische Präsident Javier Milei die Opposition unterdrückt und wie stark die Armutsquote gestiegen ist, erläutert die Menschenrechtlerin Paula Litvachky im Interview. Wir brauchen Bürokratieabbau, so eine beliebte Losung, also weg mit dem Lieferkettengesetz. Als stelle die Berichtspflicht von Unternehmen eine größere Zumutung dar als die Ausbeutung von Menschen in Bergbauminen und Fabriken. Geht zurück in die Heimat, wird Syrer*innen jetzt zugerufen, kaum dass das Assad-Regime gestürzt ist, und überhaupt: Stopp der Migration. Wie absurd unser Jammern ist angesichts der Last, die Länder des Globalen Südens durch Fluchtbewegungen tragen, veranschaulicht der Migrationsexperte Girmachew Adugna. Dass die Kälte, mit der Schutzsuchende mehr als Problem denn als Menschen betrachtet werden, konträr zur Weihnachtsbotschaft steht, sei hier nur am Rande erwähnt. Wir haben die Fähigkeit zu Mitgefühl und sollten sie nutzen. Solidarität ist dringend nötig. Ich appelliere, die Augen aufzumachen und die Würde der Menschen zu bewahren – und damit auch die eigene.
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