Sehr geehrte Damen und Herren,
in fünf Tagen beginnt der "Weltgipfel" von Johannesburg. Wir erwarten und hoffen, dass die Klimaveränderung, deren Auswirkung wir in Mitteleuropa derzeit mit Unwetterkatastrophen erleben, das Bewusstsein für eine gemeinsame Verantwortung für den Globus weckt. In unserem eigenen Land durchleben wir zur Zeit eine dramatische Flutkatastrophe. Ähnliche Unwetter, aber auch Dürreperioden mit ihren schlimmen Folgen kennen wir aus vielen Ländern der Welt, zur Zeit die Flut in China und Bangladesh und die Dürre im südlichen Afrika. Beides hat miteinander zu tun. Deshalb wäre es schlimm, Katastrophen gegeneinander auszuspielen.
Die Flutopfer bei uns benötigen eine angemessene Entschädigung. Wir begrüßen sehr, dass die Regierung hier schnell handelt. Aber wir warnen davor, die Armen im Süden im Stich zu lassen. Finanzminister Eichel hat gesagt, die Flutopfer benötigen eine verlässliche Perspektive. Eine solche verlässliche Perspektive brauchen auch die Armen im Süden.
In der Bundesrepublik haben wir eine demokratische Regierung und eine funktionierende Logistik zur Evakuierung und Versorgung der Menschen. Viele der Ärmsten in den Ländern des Südens können darauf nicht zurückgreifen. Überall brauchen die Opfer finanzielle, und nicht zuletzt materielle Hilfe. Es bleibt unsere Aufgabe, als Christen für die nahen und die fernen Nächsten hier und in anderen Teilen der Welt gleichermaßen Unterstützung zu leisten.
Der UN-Gipfel bietet eine außerordentliche Chance, Weichen zu stellen für den zukünftigen globalen Klimaschutz, die Bekämpfung von Armut und eine sozial gerechtere und ökologisch verträgliche Steuerung der Globalisierung. Mein Kollege Wilfried Steen, Ressortleiter des Bereichs Entwicklungspolitischer Dialog und Inlandsprogramme sowie der Fachreferent Michael Frein werden bei dem UN-Gipfel in Johannesburg dabei sein. Beide sind heute anwesend und stehen hier - und in Johannesburg - für Rückfragen und Interviews zur Verfügung.
Eine Bedingung für den Erfolg des Weltgipfels wird sein, dass internationale Umweltabkommen endlich den Vorrang bekommen vor den Handelsregeln der Welthandelsorganisation. Zweitens erwarten wir von Johannesburg klare Beschlüsse zu den Sektoren der Armutsbekämpfung wie Zugang zu sauberem Trinkwasser, Sanitärversorgung und Zugang der Armen zu Energie. Wir erwarten vom Weltgipfel eindeutige Regelungen, damit multilaterale Umweltabkommen nicht weiterhin von Abkommen der Welthandelsorganisation entkräftet werden.
Beispiel dafür ist die UN-Konvention über die biologische Vielfalt, die für das traditionelle Wissen von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften einen besonderen Schutz vorsieht. Dieser Schutz besteht beispielsweise in einem Mitspracherecht über die Verwendung ihres Wissens, aber auch in der Beteiligung an daraus entstehenden Gewinnen. Dies wird vom internationalen Patentrecht der Welthandelsorganisation im sogenannten TRIPs-Vertrag faktisch unterlaufen. So wird "Biopiraterie" durch internationale Pharma- und Agrarfirmen legitimiert, denn die Regeln der UN-Konvention für biologische Vielfalt einzuhalten, ist nach dem WTO-Patentrecht nicht erforderlich. Biopiraterie ist nicht nur eine neue Form des Kolonialismus, sondern bedroht direkt die Ernährungssicherung und die kulturellen Lebensformen der Menschen.
Der Evangelische Entwicklungsdienst arbeitet bereits seit Jahren mit einer Reihe von Organisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammen, die sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt, traditionellem Wissen und Ernährungssicherung einsetzen. Er unterstützt ihre Aktivitäten finanziell, bietet bei Bedarf Beratung an und ist Partner in der Vertretung politischer Interessen der Armen des Südens in Deutschland, Europa und auf internationaler Ebene.
Eine dieser Partnerorganisationen ist die Deccan Development Society (DDS) in Indien, mit der der EED bzw. seine Vorgänger seit 1985 zusammenarbeiten. DDS leistet eine beispielhafte Arbeit, die zeigt, dass auch die Armen im Süden nicht ohnmächtig internationale Verträge und eine nationale Politik hinnehmen müssen, die ihren Interessen zuwiderläuft. Hierzu hat der EED eine neue Publikation erarbeitet, die wir am 24. September der Öffentlichkeit vorstellen werden. Unsere indischen Partner von DDS und Vertreterinnen und Vertretern von indigenen Organisationen aus den Philippinen und aus Lateinamerika stehen Ihnen dann zur Verfügung.
Im vergangenen Jahr hat sich das politische Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit deutlich verändert. Nach den Ereignissen vom 11. September wird die alte Frage zum Verhältnis von Frieden und Entwicklung neu gestellt. Dieser Zusammenhang ist, wie wir alle wissen, komplex. Einfache Lösungen gibt es hier nicht. Aber klar ist, dass ohne die Überwindung der Armut und ihrer Ursachen dauerhafter Friede nicht möglich ist. Der EED (bzw. seine Vorgängerorganisationen) unterstützt seit Jahren Programme der Friedensarbeit und Konfliktbewältigung in vielen Teilen der Welt. Eine Schwerpunktregion ist der Nahe Osten. Hier haben wir in den vergangenen Monaten unser Engagement für Bildung, Gesundheits- und Menschenrechtsprogramme verstärkt - trotz und wegen der aktuellen Konflikte.
Eine neue programmatische Achse ist das internationale "Ökumenische Begleitprogramm" in Israel und Palästina, dass vor wenigen Wochen begonnen hat. Daran beteiligen sich deutsche Freiwillige, die durch den EED vermittelt und begleitet werden. Ziel ist es, Mitarbeitende von sozialen und kirchlichen Einrichtungen oder Menschenrechtsorganisationen in schwierigen Situationen zu begleiten, Aktionen von israelischen Friedensgruppen zu unterstützen, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und durch internationale Präsenz Schutz und öffentliche Aufmerksamkeit zu gewährleisten. Dies ist ein Beitrag des EED zu einem ökumenischen Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf.
Eine weitere Konfliktregion im Brennpunkt ist Afrika, ein zentrales Beispiel der Kongo. Dort fördert der EED Programme vor allem im Bildungssektor. Wo der Staat nicht mehr funktioniert, sind es oft gerade die Kirchen, die elementare soziale Dienste aufrechterhalten, weil kein anderer da ist, der es tun könnte.
Dies ist wichtig, dies unterstützen wir, aber es muss zugleich um die Ursachen der Krise gehen. Es sind eben nicht nur Regierungen und Rebellengruppen, wie es manchmal in den Zeitungen heißt, die miteinander kämpfen, in Angola, in Sierra Leone, im Kongo, im Sudan. Es geht um Öl und Kupfer, aber auch um Diamanten, Gold und andere wertvolle Metalle, es geht um die Verbindung von Rohstoffökonomie und Gewaltökonomie. Dieser Zusammenhang zwischen Bodenschätzen und Kriegen muss auch bei uns mehr Beachtung finden.
Coltan - so heißt ein Rohstoff, der in Handys verwendet, aber auch für die Rüstungstechnologie genutzt wird. Der Kampf um den Bodenschatz Coltan heizt den Krieg im Kongo an, gefährdet die zumeist jugendlichen Schürfer und zerstört die Umwelt. Aus den ländlichen Regionen ziehen die Menschen in die Minen, in der Hoffnung, Coltan zu finden und damit Geld zu verdienen.
Die vom EED in Auftrag gegebene Studie "Coltanfieber" untersucht die Auswirkungen des Coltan-Bergbaus auf die Gesellschaft. Sie wurde vom Institut für interkulturelle Begegnung in Ostkongo erstellt, genannt POLE-Institut. Seit Jahren wird das Institut vom EED unterstützt für sein Engagement, die gesellschaftlichen Folgen der Rohstoffausbeutung zu untersuchen und Perspektiven für die traumatisierte Bevölkerung mitzuentwickeln. Die Studie liegt heute hier vor. Zu dem Thema "Gewaltmärkte" arbeitet übrigens auch die Gruppe Friedensentwicklung mit Sitz beim BMZ, genannt FriEnt, zu der auch der EED gehört.
Der EED ist überzeugt: Will die internationale Gemeinschaft sich wirklich für die Beendigung dieser Kriege einsetzen, geht es nicht nur um die Herstellung von demokratischen Verhältnissen, so wichtig diese auch sind. Sie muss sich mit der Frage von Gewaltmärkten und ihren Verflechtungen in internationale Wirtschaftskreisläufe auseinander setzen, die häufig der staatlichen Kontrolle entzogen sind. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, endlich auf diesem Gebiet aktiv zu werden und ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht einzusetzen. Es geht um das Leben Tausender von Menschen.
Lassen Sie mich, auch in dem Zusammenhang, noch ein Thema ansprechen, das mit dem aktuellen Wahlkampf zu tun hat. Wie Sie wissen, gibt es neuerdings wieder Stimmen, die das BMZ dem Auswärtigen Amt zuordnen wollen. Dies halten wir für falsch. Die Bundesregierung braucht eine eigenständige, gewichtige Kompetenz in der Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung. Dieser zentrale Bereich für die zukünftige Gestaltung der Globalisierung darf nicht strukturell abhängig gemacht werden von den Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen, so legitim diese auch sind. Deshalb appellieren wir an die Parteien, die die kommende Bundesregierung bilden werden, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit dem uns übrigens 40 Jahre koordinierte Zusammenarbeit verbindet, zu erhalten und wenn möglich um die Arbeitsbereiche internationale Agrarpolitik, aber auch Schulden- und Rohstoffpolitik zu erweitern.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen Beispiele aus unserer Arbeit genannt, die Ihnen einen Eindruck vermitteln, welchen Beitrag wir zur Überwindung von Armut und zur Förderung des Friedens leisten wollen. Armut bedeutet nicht nur physische Not. Sie äußert sich auch dort, wo die Menschenwürde missachtet wird und die Menschen vom Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung ausgeschlossen sind. Davon handelt unser Jahresbericht. Die Schaffung von gleichen Rechten und gleichen Lebensbedingungen für alle, unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht, wird auch zukünftig unser Anliegen bleiben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!