Mit Blick auf die bevorstehende Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) vom 13.-18. Dezember in Hongkong fordert der Evangelische Entwicklungsdienst eine Kehrtwende in den laufenden Verhandlungen. "Entwicklung muss endlich ins Zentrum gerückt werden", sagte Nikolaus Schneider, Vorsitzender des EED-Aufsichtsrates und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. "Besonders die reichen Industrieländer müssen ihre Positionen überdenken und die Interessen der Armen ernst nehmen." Die unvereinbaren Positionen zwischen Nord und Süd seien ein deutliches Signal dafür, dass die WTO-Verhandlungen ihr Ziel noch nicht erreicht hätten, den Welthandel gerechter zu gestalten, so Schneider weiter.
Aus Sicht des EED drohen gerade die armen und kleineren Länder Verlierer der so genannten "Entwicklungsrunde" zu werden. "Das, was jetzt zum Schutz einkommensschwacher Bauern in Industrie- und Entwicklungsländern auf dem Tisch liegt, ist deutlich zu wenig", kommentiert EED-Agrarexperte Rudolf Buntzel den Verhandlungsstand. Die offensiven Interessen der Agrarexporteure im Norden und Süden stellten die Probleme der Armen hinten an. Auch die Europäische Union verhalte sich kaum anders, so Buntzel weiter: "Ihre eigenen Agrarprogramme will die EU unbedingt erhalten wissen. Doch auf Agrarexporte in Entwicklungsländer will sie nicht verzichten." So weigere sich die EU noch immer, einen Zeitpunkt festzulegen, zu dem ihre Exportsubventionen auslaufen. Dieses Zugeständnis koppele sie weiterhin an Gegenleistungen, kritisiert Buntzel.
Ähnlich dramatisch stellen sich für den EED die Verhandlungen zum nichtagrarischen Marktzugang (NAMA) dar. Hier drängen die Industrieländer auf einschneidende Zollsenkungen für den Zugang zu den Märkten der Entwicklungsländer. "Sollten sich die reichen Länder mit ihren radikalen Forderungen durchsetzen, werden in den Entwicklungsländern viele Fabriktore schließen müssen", kritisiert Michael Frein und stellt fest: "Die WTO-Verhandlungen verbauen den Entwicklungsländern den Weg zu einer eigenständigen wirtschaftlichen Entwicklung." Wenn der Zollschutz für einheimische Industrien im Süden von heute auf morgen praktisch wegfalle, würden die Preise im Inland schlagartig in den Keller fallen. Hierdurch würden global nicht wettbewerbsfähige Unternehmen aus dem Markt gedrängt, so der EED-Experte für Welthandelsfragen. Die Industrieländer würden mit ihren Forderungen nach rigoroser Marktöffnung und massiven Zollsenkungen den Entwicklungsländern die Werkzeuge aus der Hand schlagen, die sie für ihre eigene Entwicklung angewandt hätten.
Der EED fordert daher, die laufenden Verhandlungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Nicht die Wirtschaftsinteressen der reichen Industrieländer, sondern die Interessen der Armen müssen Ausgangspunkt einer gerechten Welthandelsordnung sein. Durch eine Marktöffnungsagenda lässt sich Armut nach Auffassung des EED nicht bekämpfen. Die WTO braucht eine Entwicklungsagenda, die ein ausgewogenes und entwicklungsorientiertes Verhältnis zwischen Marktöffnung und Marktschutz zulässt.