(Berlin, 14. Juli 2006). Beim G8-Gipfel in St. Petersburg, der morgen beginnt, sollen auch die Ende Juni in Genf gescheiterten Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) fortgesetzt werden. Verschiedene Organisationen der Zivilgesellschaft fordern die Staats- und Regierungschefs der G8 auf, keine neuen Fakten zu schaffen. "Die G8 haben überhaupt kein Mandat für WTO-Verhandlungen", sagt Michael Frein, Handelsexperte beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). "Eine Vereinbarung in St. Petersburg wäre illegitim und undemokratisch. Mehr als 90 Prozent der WTO-Mitglieder wären von den WTO-Verhandlungen der G8 ausgeschlossen."
Zu den kritischen Punkten der WTO-Verhandlungen gehören die Bestrebungen, die Märkte für Agrar- und Industriegüter zu öffnen. Während die Agrarkonflikte im öffentlichen Interesse stehen, bleibt die Debatte über Industriegüter stärker im Hintergrund. Dabei sehen Entwicklungsorganisationen, Umweltverbände und Gewerkschaften diese Verhandlungen sehr kritisch. Sie warnen vor einem Desaster für Umwelt und Entwicklung.
Die Diskussionen innerhalb der WTO waren Thema einer Konferenz, zu der der Evangelische Entwicklungsdienst (EED), Greenpeace, Oxfam und Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) in Zusammenarbeit mit der IG Metall für den 13. Juli eingeladen hatten. Dabei äußerten vor allem Vertreterinnen und Vertreter aus Entwicklungsländern ihre Sorgen: "Für die meisten Entwicklungsländer wäre eine drastische Senkung ihrer Industriezölle eine Katastrophe", so Goh Chien Yen vom Third World Network (TWN) aus Malaysia. "Statt ökonomischer Entwicklung wären viele Länder von Deindustrialisierung bedroht."
Goh verwies dabei auf Beispiele: Als die Zölle der Elfenbeinküste 1986 um 40% gesenkt wurden, brachen die Chemie- Textil- und Schuh- und Automobilsektoren praktisch zusammen. Was die Industrieländer nun von den Entwicklungsländern forderten, sei, so Goh, in der Geschichte ohne Beispiel: Viele Entwicklungsländer wie Brasilien, Indien, Indonesien Pakistan, Paraguay, sollen ihre Zölle um bis zu 70% senken.
Die Gewerkschaften betonten, dass die Zollsenkungen Arbeitsplätze in Entwicklungsländern bedrohten. Im Senegal etwa sei in Folge eines Liberalisierungsprogramms in den neunziger Jahren ein Drittel aller Arbeitsplätze im produzierenden Sektor verloren gegangen.
Auch die Umwelt leide unter niedrigeren Zöllen, der Druck auf die natürlichen Ressourcen wachse. "Es ist absurd, dass in der WTO Wälder wie Autos behandelt werden", kritisiert Hapsoro von Greenpeace SouthEastAsia die Verhandlungen, die Forst- und Fischereiprodukte unter Industriegütern subsumieren. Niedrigere Zölle führen zu niedrigeren Preisen. Und niedrigere Preise erhöhen die Nachfrage, die oft durch Raubbau gedeckt wird. "Die Pläne der WTO zur Liberalisierung des Handels mit Forstprodukten müssen aufgegeben werden" fordert Hapsoro. "Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt wären unverantwortlich."
Weitere Informationen
* Alexis Passadakis (WEED), Tel. 0170 - 268 4445
* Jürgen Knirsch (Greenpeace), Tel. 0171 - 8780 816
* Marita Wiggerthale (Oxfam), Tel. 0162 - 138 6321
* Michael Frein (EED), Tel. 0173 - 535 9992