Die Corona-Pandemie hat nach Angaben der Frauenorganisation der Vereinten Nationen UN Women weltweit zu einer dramatischen Zunahme häuslicher Gewalt gegen Frauen geführt. Die Anrufe betroffener Frauen bei den nationalen Hilfe-Hotlines haben in vielen Ländern um 25 bis 30 Prozent zugenommen. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, sagt: „Geschlechtsbasierte Gewalt gegen Frauen hat schon in normalen Zeiten erschreckende Ausmaße. Dass viele Männer ihre Frustration über die Einschränkungen infolge der Pandemie an ihren Frauen auslassen, zeigt wie unter einem Brennglas die Gewalt gegen Frauen als viel grundsätzlichere Pandemie: das geringe Ansehen und die geringe Stellung der Frau in den meisten Gesellschaften.“
Doch nicht nur häusliche Gewalt gegen Frauen hat während des Lockdowns zugenommen. Liberia etwa registrierte in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt um 50 Prozent. Laut einem Bericht der UN-Mission MINUSCA sind die dokumentierten Vergewaltigungen um 27 Prozent gestiegen. Auch in Nigeria kam es während der Ausgangsbeschränkungen vermehrt zu sexueller Gewalt: Zwei Fälle im Juni, bei denen junge Frauen vergewaltigt und getötet wurden, führten im Land zu Protestdemonstrationen. Laut lokaler Medien in Kenia kamen 4000 Schülerinnen aus der Phase der Schulschließungen schwanger in die Schule zurück – mutmaßlich verursacht durch Vergewaltigung von Verwandten oder Polizisten. Besonders stark leiden die Frauen in Südafrika unter geschlechtsspezifischer Gewalt. Die südafrikanische Polizei hat gemeldet, dass in den letzten Monaten alle drei Stunden eine Frau ermordet wurde – besonders dramatisch sei die Situation während der Zeit des Lockdowns gewesen. Auch Partnerorganisationen von Brot für die Welt aus Asien, Nahost und Lateinamerika berichten von einer erheblichen Zunahme häuslicher Gewalt, sexuellen Mißbrauchs und einer steigenden Zahl von Morden an Frauen.
Durch die anhaltende Corona-Pandemie und die ökonomischen und sozialen Folgen der Lockdowns wachsen die Verunsicherung, die existentiellen Sorgen und damit der emotionale Stress. Häufig findet er dann ein Ventil in häuslicher Gewalt, was durch beengte Wohnverhältnisse der Menschen zusätzlich verstärkt wird. UN Women bezeichnet die massive Zunahme häuslicher Gewalt inzwischen als Schatten-Pandemie.
Füllkrug-Weitzel: „Noch immer hat sich wenig an den grundsätzlichen Ursachen geschlechterbasierter Gewalt geändert: Die tiefsitzende kulturelle und religiöse Diskriminierung von Frauen und die Vorenthaltung rechtlicher und ökonomischer Gleichstellung zementiert ihre Unterwerfung unter und ihre Abhängigkeit von Ehemännern und männlichen Verwandten. Hinzu kommt in Ländern mit chronischen Gewaltkonflikten eine allgemeine Akzeptanz von sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe.“
Hier brauche es gewaltigere und langfristige Anstrengungen von Regierungen in allen Handlungsfeldern - von Bildung über Justiz-, Innen-, und Wirtschaftspolitik sowie die entsprechende Finanzierung, so Füllkrug-Weitzel. „Es braucht mehr Respekt für die Würde und Rechte der Frauen, für ihr Leben, für Sicherheit und Schutz“, so die Präsidentin des evangelischen Hilfwerks, „dafür müssen wir die Machtverhältnisse, die Frauen und Mädchen diskriminieren, aufbrechen und verändern.“
In den zwölf Monaten vor der Corona-Pandemie waren nach Angaben von UN Women weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren häuslicher Gewalt ausgesetzt. In Deutschland waren 2019 laut Bundeskriminalamt mehr als 140.000 Frauen betroffen. Betroffene Frauen leiden physisch wie psychisch, ihre Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe sind dauerhaft beeinträchtigt. Viele können es nicht mehr schaffen, sich aus eigener Kraft aus dem gewalttätigen Umfeld zu befreien.
Die Vereinten Nationen riefen 1999 den 25. November zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen aus. Gewalt gegen Frauen ist ein globales gesellschaftliches Phänomen und stellt eine gravierende Menschenrechtsverletzung dar. Sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt gegen Frau tritt in vielen Formen auf - von psychischer Grausamkeit über Schläge und Vergewaltigung bis hin zu Totschlag und Mord. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) erleben weltweit etwa 30 Prozent aller Frauen in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt durch ihren Partner.
Hinweis für Redaktionen:
Cornelia Füllkrug-Weitzel, die Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, ist Botschafterin der Kampagne „Donnerstags in Schwarz“ („Thursdays in Black“) des Ökumenischen Kirchenrates. Die Kampagne wendet sich gegen sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt. Das Konzept: Wer die Kampagne unterstützt, geht donnerstags in Schwarz und trägt dazu einen Kampagnen-Sticker.
Carsta Neuenroth, Referentin Gender bei Brot für die Welt, steht für Interviews zur Verfügung.
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