Ab dem 19. März ist die heimische Versorgung mit Fisch und Meeresfrüchten in diesem Jahr rechnerisch aufgebraucht, für den Rest des Jahres sind die Menschen in Deutschland vollständig auf Importe angewiesen. Zu diesem Ergebnis kommen die Berechnungen von Brot für die Welt, Fair Oceans und Slow Food Deutschland. Der „End of Fish Day“ liegt damit in diesem Jahr mehr als zwei Wochen früher als im Vorjahr (5. April). Nur noch wenig mehr als 20 Prozent der in Deutschland verzehrten Fischprodukte werden von deutschen Fischerei-Aktivitäten erbracht. Verantwortlich für diese Entwicklung sind die Überfischung und die Erwärmung der Meere, vor allem der Ostsee, in Folge des Klimawandels.
Der überwiegende Teil der Fische, Garnelen und Muscheln auf den Tellern der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher wird aus aller Welt importiert. Seit Jahren wächst die Importabhängigkeit Deutschlands bei Fischprodukten und verweist damit auf den nach wie vor schlechten Zustand vieler Fischbestände in Nord- und Ostsee und auf eine weiterhin mangelhafte Umsetzung wissenschaftlicher und gesetzlicher Vorgaben für eine nachhaltige Fischerei. Eine erhebliche Menge importierten Fischs stammt aus Gewässern von Entwicklungsländern und gefährdet die dortige Ernährungssicherung, auch wenn Fischexporte armen Ländern zum Teil notwendige Einnahmen sichern. Doch neben der bestehenden Überfischung werden auch Versauerung und Erwärmung der tropischen Ozeane die küstennahen Fischbestände in den nächsten Jahren weiter reduzieren. Eine große Gefahr für Millionen von Menschen, die diese Fischgründe zur direkten Versorgung und für ihren Lebensunterhalt brauchen.
Zwar liegt der Verzehr von Fischprodukten in Deutschland 2019 mit 13,2 Kilogramm pro Kopf deutlich unter dem Weltdurchschnitt von über 20 Kilogramm, doch das Missverhältnis zum deutschen Fangertrag wird sich durch die Klimaveränderungen in Ost- und Nordsee noch weiter vergrößern. Fischerei und Klimapolitik müssen enger verknüpft werden. Schon heute zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, wie ohnehin belastete Meeresökosysteme und ihre Lebewesen durch die Klimaveränderungen weiter unter Druck geraten. So gibt es zum Beispiel immer weniger Hering in der Ostsee, weil die warmen Winter ihre Fortpflanzung beeinträchtigen. Überfischung und Klimawandel verstärken sich weltweit gegenseitig und verlangen mehr denn je eine neue Fischereipolitik, die die marinen Ökosysteme als Ganzes betrachtet.
Schon jetzt sind die Einbrüche bei den Fangerträgen dramatisch und Fischereien stehen vor dem Aus. Fischarten haben begonnen ihre Verbreitungsgebiete zu verlagern, ihre Biorhythmen zu verändern und ihre Körpergröße an die steigende Meerestemperatur anzupassen. Diese Folgen des Klimawandels sind mittlerweile überall in den Ozeanen zu beobachten. An die handwerklichen Fischer mit ihren kleineren Booten stellt dies die größten Herausforderungen: Sie müssen weiter hinaus aufs Meer, benötigen mehr Treibstoff und mehr Vorräte, neues Fanggerät, das dazu erforderliche Kapital. Ihre Fangfahrten werden aufgrund der vermehrten Unwetter noch risikoreicher.
Francisco Mari, Referent für Agrarhandel und Fischerei bei Brot für die Welt, sagt: „Nahrung aus den Weltmeeren muss auch in Zeiten der Klimaveränderungen als proteinreiches Angebot und zum Lebensunterhalt von Menschen im Globalen Süden erhalten bleiben. Während Fischkonsum bei uns zum Luxus werden könnte, darf es dazu in Entwicklungsländern niemals kommen, denn Fisch ist einer der wichtigsten Proteinlieferanten für Millionen Menschen entlang der Küsten. Die Industriestaaten müssen ihre Maßnahmen zur CO2-Reduzierung dringend verschärfen, aber auch Überfischung und illegale Fischerei stoppen. Die Schäden und Verluste durch den Klimawandel in der handwerklichen Fischerei sowie Anpassungsmaßnahmen müssen durch internationale Ausgleichsfonds kompensiert werden.“
Nina Wolff, die amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland, sagt: „Klima- und Meeresschutz sind untrennbar miteinander verbunden. In Zeiten des sich immer offensichtlicher manifestierenden Klimawandels ist Überfischung endgültig tabu. Ein verantwortungsvolles Fischereimanagement muss heute in erster Linie der Widerstandsfähigkeit des jeweiligen Meeresökosystems gegenüber klimatischen Veränderungen dienen. Bei der Aufteilung kleiner werdender Fangmengen sollten handwerkliche Fischer mit möglichst umweltschonenden Fangmethoden grundsätzlich bevorzugt werden.“
Kai Kaschinski, der Vorsitzende von Fair Oceans, sagt: „Die ökologischen Auswirkungen des marinen Klimawandels verändern die Ozeane sehr grundlegend. Eine Entwicklung, der nicht national Einhalt geboten werden kann. Die internationale Fischereipolitik muss die Probleme, die mit dem Klimawandel einhergehen, deshalb grenzüberschreitend und in enger Kooperation lösen. Klimagerechtigkeit ist hierbei unerlässlich. Dazu gehört, dass die Küstengemeinden im globalen Süden, die laut der Prognosen des Weltklimarats am stärksten von den Folgen betroffen sein werden, umfassend durch entwicklungs- und klimapolitische Programme unterstützt werden bei ihrem Kampf gegen schwindende Fangerträge und den Untergang ihrer Siedlungen in den steigenden Fluten.“
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Veranstaltungshinweis:
Fair zu Fisch und Fischer:innen –
Eine Lesung und Diskussion mit Billo Heinzpeter Studer