Weltweit verschwinden jeden Tag Menschen spurlos. Sie werden verhaftet oder entführt, an geheimen Orten gefangen gehalten, oft gefoltert oder getötet. Internationale Aufmerksamkeit hat zuletzt der Fall der 43 Studenten aus Mexiko erregt: Vor acht Jahren wurden sie von Kriminellen verschleppt – unter Mithilfe staatlicher Sicherheitskräfte. Erst vor wenigen Tagen wurden die 43 offiziell für tot erklärt – eine schlimme Nachricht für die Angehörigen, die auf eigene Faust jahrelang nach ihnen gesucht haben. „Verschwindenlassen ist eine grobe Menschenrechtsverletzung, an der auch Staaten beteiligt sind“, erklärt Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt. Für die Angehörigen der Opfer ist Verschwindenlassen auch deshalb besonders grausam, da bewusst keine Spuren hinterlassen werden und sie daher oft viele Jahre in Ungewissheit leben. „Die Bundesregierung sollte sich – etwa beim Abschluss von Handelsverträgen - entschieden dafür einsetzen, dass Staaten ihrer Verantwortung gerecht werden und ihre Bürgerinnen, aber auch Geflüchtete und Migranten, vor Verschwindenlassen schützen.“
Früher war das gewaltsame Verschwindenlassen vor allem in lateinamerikanischen Militärdiktaturen verbreitet. Aktuell sind die Fallzahlen jedoch neben Mexiko auch in Syrien, dem Irak und in Sri Lanka besonders hoch. Die Hintergründe sind vielfältig: Repressive Regime wollen sich kritischer Oppositionspolitikerinnen, Justizmitarbeiter oder Journalistinnen entledigen. Neben Regierungskritikern sind derzeit auch Menschen auf der Flucht besonders gefährdet. Sie fliehen oft unter prekären Bedingungen und haben keinen rechtlichen Schutz. Die weltweit immer restriktivere Flüchtlings- und Migrationspolitik – geprägt von Inhaftierungen, illegalen Push-Backs oder Einreiseverweigerungen - und immer gefährlichere Fluchtrouten erhöhen das Risiko weiter. „In Mexiko verschwinden im Schnitt 30 Geflüchtete pro Tag. Oft sind sowohl das organisierte Verbrechen als auch korrupte staatliche Sicherheitskräfte und mutmaßlich sogar die Bundesbehörde für Migration beteiligt“, sagt Pfeiffer.
Das „Internationale Abkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen“ verlangt von den Vertragsstaaten – darunter Deutschland -, dass ein Straftatbestand für gewaltsames Verschwindenlassen eingeführt wird. Den gibt es in Deutschland nicht. „Wir hoffen, dass der Gesetzgeber hier bald nachbessert. Gerade erst hat der Koblenzer Prozess gegen den syrischen Geheimoffizier Anwar R. gezeigt, dass es den Straftatbestand des Verschwindenlassens auch in Deutschland braucht. Denn die tausenden Fälle in Syrien seit Beginn des Krieges konnten vor Gericht nicht berücksichtigt werden“, sagt Pfeiffer.
Hintergrund
Im Sinne des „Internationalen Abkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen“ bedeutet Verschwindenlassen „die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.“
Anlässlich des 30. August heben die Vereinten Nationen auch die weltweite Gefahr von Familienangehörigen verschwundener Menschen, Menschenrechtsverteidigerinnen und öffentlichen Bediensteten hervor, die sich gegen das Verschwindenlassen einsetzen.
Dieser Problematik widmet sich die „Internationale Koalition gegen das gewaltsame Verschwindenlassen“ (ICAED), deren Mitglied Brot für die Welt ist, am 30.8. gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren aus verschiedenen Weltregionen und UN-Vertreterinnen in einer Online-Veranstaltung (15-17 Uhr MESZ). Anmeldung unter icaed2020@gmail.com oder kristina.stier@brot-fuer-die-welt.de.
Auf www.gewaltsames-verschwindenlassen.de veröffentlich die deutsche „Koalition gegen Verschwindenlassen“ außerdem Hinweise zu Aktionen, Ausstellungen und Veröffentlichungen rund um den 30.8.
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