Der seit 2014 andauernde Krieg im Osten der Ukraine spitzt sich bedrohlich zu. Brot für die Welt blickt mit Sorge auf eine mögliche militärische Eskalation. „Der Alltag in der Ukraine ist seit vielen Jahren von wirtschaftlicher Not, ständiger Unsicherheit und Angst geprägt“, sagt Dagmar Pruin, die Präsidentin von Brot für die Welt. „Anstelle einer weiteren Militarisierung durch Waffenlieferungen bedarf es intensiver diplomatischer Bemühungen, damit die Menschen wieder mit Hoffnung in die Zukunft blicken können.“
Seit Beginn des Krieges vor acht Jahren hat sich die Situation insbesondere im Osten der Ukraine stark verschlechtert. 2,8 Millionen Menschen sind aus den umkämpften Gebieten geflohen oder vertrieben worden. Die 147 Kilometer lange sogenannte Kontaktlinie, die die von pro-russischen Separatisten besetzten Gebiete vom ukrainischen Territorium trennt, ist eines der am stärksten durch Landminen verunreinigten Gebiete der Welt.
Angesichts der Verlegung russischer Truppen an die Grenze zur Ukraine beobachten Partnerorganisationen von Brot für die Welt eine starke Zunahme der Ängste. Vitaliy Mykhaylyk leitet das Rehabilitationszentrum St. Paul in Odessa. Es bietet Hilfe für Familien gefallener, physisch oder psychisch verletzter Soldaten und intern Geflüchtete aus dem Osten der Ukraine an. Mykhaylyk weist auf die psychischen Folgen für die Bevölkerung hin: „Die ständige Bedrohung zermürbt die Menschen. Alkoholismus und häusliche Gewalt haben stark zugenommen.“
Oksana Khmelnytska ist Leiterin des Mental Health Service in Kiew. Bei der von Psychologinnen und Psychologen getragenen NGO finden Menschen, die in der Nähe der Kriegsgebiete leben, psycho-soziale Unterstützung – in den Grenzgebieten und dem besetzten Teil auch per Video. Khmelnytska berichtet, dass viele Menschen durch die Bedrohungslage re-traumatisiert werden. „Aktuell sind die Erfahrungen und Erinnerungen der letzten acht Jahre getriggert, und die Vergangenheit ist präsenter als die mögliche Zukunft.“ Schlaflosigkeit, Unruhe und ein Gefühl der Hilflosigkeit sind die Folgen.
Auch fernab der umstrittenen Gebiete nehmen psychische Belastungen zu. Viele Menschen machen sich große Sorgen, dass die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, aber auch mit Lebensmitteln bei einer Invasion russischer Truppen zusammenbrechen könnte. „Viele Männer fürchten, im Kriegsfall eingezogen zu werden. Sie leben in ständiger Unruhe, und das überträgt sich auf die ganze Familie“, erklärt Khmelnytska.
Brot für die Welt unterstützt verschiedene zivilgesellschaftliche und kirchliche Partnerorganisationen in der Ukraine, die seit Beginn des Krieges psycho-soziale Beratung und Begleitung für betroffene Menschen anbieten.
Der Krieg im Osten der Ukraine hat offiziellen Schätzungen zufolge mehr als 14.000 Menschenleben gekostet. Bei Kampfhandlungen stehen sich von Russland unterstützte Milizen, reguläre russische und ukrainische Truppen sowie Freiwilligenmilizen gegenüber. Die prorussischen Kräfte kämpfen für die Abspaltung der von ihnen proklamierten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ukraine.
Hinweise für Redaktionen:
Interview mit Oksana Khmelnytska
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