Familie Chic aus der Teilgemeinde La Gloria
Guatemala

Wo Wasser Licht und Hoffnung erzeugt

Guatemala exportiert Elektrizität in seine Nachbarländer, aber im eigenen Land sind viele indigene Familien noch nicht an die Stromversorgung angeschlossen. Eine kleine Partnerorganisation von Brot für die Welt ändert das gerade.

Ein Leben in Dunkelheit

41 Jahre lang dauerte die Finsternis für Mario Chic. Seine Mutter hatte sich vor den Häschern der Militärdiktatur in den Wald geflüchtet, nachdem ihr Dorf niedergebrannt worden war. Dort kam der Junge – wie so viele Maya-Kinder – auf einer Bastmatte zur Welt. Tagsüber drang nur sanftes Licht durch das dichte Blätterdach. Nachts war es stockdunkel und Feuer streng verboten, es hätte die Flüchtlinge verraten. Chic lernte, nicht mit den Augen, sondern mit den Füßen zu sehen und im Stockdunkeln nahezu lautlos und ohne zu stolpern durch den Dschungel zu laufen. Bis heute bringen Maya-Eltern ihren Kindern diese Fähigkeit bei.

Vom Staat übersehen

Als der Krieg 1996 zu Ende ging, konnten Chic und die anderen Flüchtlinge zwar den Wald verlassen und sich in der Region Quiché ein neues Leben aufbauen. Doch die Mächtigen im Staat blickten weiterhin über sie hinweg: Strom, Wasserleitungen und Straßen blieben lange ein Traum in der Zona Reina, wo nach Kriegsende Tausende Flüchtlingsfamilien angesiedelt wurden. Anfang der 2000er Jahre waren die Indigenen es leid, ihre Benachteiligung einfach hinzunehmen. „Wir hatten Flüsse, und wir wollten daraus Strom gewinnen“, erinnert sich Chic, der mit Ehefrau Yat und seinen vier Kindern in einem bescheidenen Holzhaus im Dorf La Gloria lebt.

Profit statt Gemeinsinn

Unterstützung erhielten die Indigenen bald darauf von Madre Selva, einer kleinen Umweltorganisation, die Teil des von Brot für die Welt mitgetragenen ökumenischen Netzwerks Jotay ist. Das größte Problem für ihr Vorhaben: Guatemalas Wirtschaftselite und die Politiker hatten andere Pläne. Zwar wollten auch sie die abgelegene, regnerische Bergregion nutzen, um Strom durch Wasserkraft zu erzeugen. Aber nicht, um die indigene Bevölkerung zu versorgen, sondern um Profit zu machen. Weil es lukrativer ist, exportieren die guatemaltekischen Energieunternehmen den Gutteil des in der Region produzierten Stroms nach Mexiko und in die mittelamerikanischen Nachbarländer, während in manchen Gegenden des Landes immer noch weniger als 40 Prozent der Bevölkerung einen Stromanschluss haben.

David gegen Goliath

„Wasser ist für uns Maya ein heiliges Element“, erzählt Chics Ehefrau Yat. Es zu verkaufen, zu vermarkten und anderen wegzunehmen, ist in ihrer Kultur undenkbar. Deswegen wehren sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Zona Reina bis heute gegen die Mega-Wasserkraftwerke der großen Konzerne. Bevor ihre Idee dezentraler „Mini-Kraftwerke“ zum Nutzen aller umgesetzt werden konnte, galt es jedoch viele Widerstände zu überwinden. Ein evangelikaler Prediger, bezahlt von lokalen Politikern und Energiefirmen, säte Zwietracht und redete das Vorhaben schlecht. Zeitungen veröffentlichten Hetzartikel gegen Madre Selva, bezahlte Schlägertrupps lauerten den Mitarbeitenden auf. Doch die Befürworter des Projektes verzagten nicht. Sie hoben Kanäle aus, leiteten einen Teil des Flusses um, legten Sedimentierungsbecken an, stellten Strommasten auf, verlegten Kabel und bauten ein kleines Elektrizitätswerk. Die ganze Gemeinde half dabei, „auch wir Frauen“, betont Yat. „Es war ein Projekt, von dem wir alle etwas hatten“, sagt ihr Mann.

Ein Projekt mit Strahlkraft

Als schließlich 2012 die erste Turbine ans Netz ging, feierte die Gemeinde ein rauschendes Fest. Seither hat sich das Leben im Dorf rasant verändert. Ein Handyladen und eine Schweißerei haben eröffnet. Kinder brauchen keine Kerzen mehr, um abends Hausaufgaben zu machen. Jugendliche können per Handy und Computer ein Fernstudium absolvieren. Das Licht in der Zona Reina strahlt inzwischen weit aus in die Region. Immer wieder kommen Delegationen aus anderen indigenen Gemeinden, die dem Beispiel nacheifern wollen. Fünf Mini-Wasserkraftwerke gibt es bereits in der Gegend, weitere sind in Planung. „Plötzlich werden wir wahrgenommen“, sagt Chics Tochter Bertina mit leuchtenden Augen.

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