Aserbaidschan

Zivilgesellschaft im Exil

In Aserbaidschan dürfte es bald keine unabhängige zivilgesellschaftliche Arbeit mehr geben. Die Regierung hat NGOs von der Förderung aus dem Ausland quasi abgeschnitten und verfolgt Kritiker systematisch. Unter diesen Umständen sind viele zum Gang ins Exil gezwungen. Verbleibende unabhängige Organisationen kämpfen um ihr Überleben.

Die politische Lage in Aserbaidschan

„Kaviar Diplomatie“ – so wird die Strategie des Regimes von Präsident Ilcham Alijew genannt, Aserbaidschans internationales Ansehen durch gezielte Gefälligkeiten aufzupolieren. Das despotisch regierte Aserbaidschan wird als fortschrittlicher Staat präsentiert, der großen Wert auf Kultur und Gemeinwohl legt. Dafür fördert die Heydar Alijew-Stiftung in Europa und den USA großzügig kulturelle Projekte wie beispielsweise Arbeiten am Louvre oder Vatikan. Trotz diverser Versprechen bleibt der Bildungsbereich des Landes hingegen unterfinanziert.

Auch Politikerinnen und Politiker erhalten Geld, Autos, teuren Schmuck oder bekommen Luxusreisen finanziert: Wie das internationale Recherchenetzwerk Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) aufdeckte, wurden zahlreiche Abgeordnete der parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE), die von den nationalen Parlamenten der Europaratsmitglieder entsandt werden, bestochen.

Repressionen gegen NGOs

Trotz offensichtlicher Ungereimtheiten bezeichneten Abgeordnete die Wahl 2013 als „frei, fair und transparent“. Im Jahr nach der Wahl, ausgerechnet als Aserbaidschan den Vorsitz des Europarats innehatte, gab es eine beispiellose Repressionswelle gegen die lokale NGO-Szene. Die für Kapitaldelikte zuständige Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft von Aserbaidschan nahm den sogenannten NGO-Case No. 142006023 auf. Hunderte NGOs, die in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte, Wahlbeobachtung, Rechtsberatung und Medienfreiheit aktiv sind, wurden zur Vernehmung vorgeladen, um die Mitarbeitenden einzuschüchtern.

Führende Aktivisten und Aktivistinnen, die es nicht rechtzeitig schafften, ins Ausland zu fliehen oder ihre Heimat nicht verlassen wollten, wurden unter fadenscheinigen Anschuldigungen festgenommen. Viele von ihnen wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch eine PACE-Resolution zur Freilassung politischer Gefangener in Aserbaidschan kam nicht zustande, weil die Mehrzahl der Parlamentarier dagegen stimmte. Zwar lies das Regime 2016 in einem symbolischen Akt einzelne der prominenteren Gefangenen frei, viele blieben jedoch in Haft.

Drohender Ausschluss aus dem Europarat

Weil sich Aserbaidschan konsequent weigert, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, etwa zur Freilassung politischer Gefangener, umzusetzen, wurde im Oktober 2017 ein Verfahren zum Ausschluss des Landes aus dem Europarat eingeleitet. Das Verfahren wird zum ersten Mal in der Geschichte des Europarats angewendet. Lokale NGOs hoffen darauf, dass Aserbaidschan im Europarat verbleibt, um auf der Ebene weiterhin Druck gegen die Regierung ausüben zu können. Im Oktober 2018 finden in Aserbaidschan Wahlen statt. Präsident Alijew wird alles daran setzen, sich eine vierte Amtszeit zu sichern, die seit einer Verfassungsänderung 2016 sieben Jahre beträgt. Es wird mit einer erneuten Repressionswelle gegen zivilgesellschaftliche Akteure, die Wahlen kritisch beobachten, gerechnet.

Abweichende Meinungen unerwünscht

Aserbaidschan rangiert auf Platz 162 von 180 Ländern im Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen und liegt damit zwischen Staaten wie Ägypten und Libyen. Pressefreiheit existiert in dem Land also quasi nicht. Statt freier Medien haben Staatsfernsehen und -presse das Monopol der Berichterstattung inne. Auch das lässt sich die Regierung einiges kosten. Im Juli 2017 verkündete Präsident Alijew, mehr als 250 Journalisten und Journalistinnen gratis Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Wenig überraschend ist dabei, dass fast alle Begünstigten für regierungsnahe Medien arbeiten. Unabhängige Medienschaffende werden dagegen seit 2014 wieder verstärkt juristisch verfolgt, stigmatisiert und über die sozialen Medien diffamiert.

Rechtsschutz erschwert

In Anbetracht der massiven juristischen Verfolgung von Medienschaffenden und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren in Aserbaidschan ist es äußerst beunruhigend, dass das aserbaidschanische Parlament im Oktober 2017 einen Gesetzentwurf veröffentlicht hat, nach dem nur noch bei der Anwaltskammer registrierte Anwälte vor Gericht auftreten dürfen. Tritt das Gesetz wie geplant im Januar 2018 in Kraft, hätte dies einschneidende Konsequenzen für den Rechtsbeistand politisch Verfolgter. Denn Aserbaidschan ist mit 900 bei der Anwaltskammer registrierten Anwälten und Anwältinnen ein Land mit extrem geringer Anwaltsdichte. Es gibt nur neun Anwälte pro 100.000 Einwohner. Der Durchschnitt in Europa liegt bei 165.

Journalisten auch im Exil gefährdet

Unter diesen Umständen bleibt vielen nur noch der Gang ins Exil. Sie fliehen ins Nachbarland Georgien, in die Ukraine, in die Niederlande oder nach Deutschland. Bislang wähnten sich Aserbaidschans Regimekritiker im Ausland in relativer Sicherheit. Im Mai 2017 aber wurde der investigative Journalist Afgan Mukhtarli in Georgien, wo er im Exil lebte, entführt und in ein Gefängnis nach Baku verbracht. Im Oktober 2017 traf es den Journalisten Fikret Huseylni am Flughafen von Kyjiw. Der ehemalige Reporter der regierungskritischen Zeitung Azadliq, der mittlerweile die niederländische Staatsbürgerschaft hat, wurde beim Einstieg in ein Flugzeug nach Düsseldorf festgenommen. Ihm droht die Auslieferung nach Aserbaidschan.

Den ausführlichen Länderbericht finden Sie im Atlas der Zivilgesellschaft, welchen wir Ihnen untenstehend zum Download anbieten.

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