Kirgistan

Russisch Roulette

Kirgisistan hat seit November 2017 einen neuen Präsidenten, den ehemaligen Premierminister Sooronbai Dscheenbekow. Der will die Wirtschaftslage verbessern und Fortschritte in Sachen Rechtsstaatlichkeit erreichen. Doch Kritiker werden immer noch wegen Präsidenten-Beleidigung verurteilt und NGOs leiden unter der Willkür der Justiz.

Die politische Lage in Kirgisistan

  • CIVICUS-Einstufung: beschränkt
  • Pressefreiheit: Platz 98 (nach Reporter ohne Grenzen)
  • bei 435 Anzeigen wegen Folter wurde nur in 35 Fällen ermittelt

Das sechs Millionen Einwohner zählende zentralasiatische Kirgisistan erlebte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 eine Phase der politischen Öffnung, während der sich zahlreiche NGOs und Basisorganisationen formieren konnten. Doch obwohl ein geplantes Gesetz zu „ausländischen Agenten“, das sich gegen NGOs richtete, 2016 gestoppt werden konnte, nahm der Druck auf die Zivilgesellschaft im gleichen Jahr zu. Hintergrund waren die anstehenden Wahlen und das umstrittene Verfassungs-Referendum, das der damalige Präsident Atambajew durchbringen wollte. NGOs und Menschenrechtsverteidiger*innen, die ihn oder das Referendum kritisierten, wurden eingeschüchtert und verfolgt, regierungskritische Demonstrationen verboten oder aufgelöst, die Wortführer festgenommen und teils misshandelt.

Nach Angaben der kirgisischen Koalition gegen Folter, einem Zusammenschluss aus 16 NGOs, ist Straflosigkeit bei Folter die Norm. Ermittlungen zu Vorwürfen von Folter und Misshandlung in staatlichem Gewahrsam seien äußerst selten und ineffektiv: Von 435 Vorfällen, die die Staatsanwaltschaft 2016 registriert habe, seien nur bei 35 Ermittlungen eingeleitet worden, so die Koalition. Besonders häufig von Gewalt betroffen sind Aktivisten für die Rechte Homosexueller und Intersexueller sowie Angehörige der usbekischen Minderheit.

Staatsanwaltschaft vertritt Interessen des Präsidenten

Als Reaktion auf Anschläge zentralasiatischer Terror-Gruppen verstärkte die Regierung die Terrorabwehr und verfolgt seitdem Menschen wegen der Aufbewahrung von vage definierten „extremistischen“ Materialien – ein Delikt, das mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft ist. Allein in den acht Monaten von Januar bis August 2017 wurden unter diesem Vorwand 191 Menschen verhaftet – viele von ihnen Angehörige der usbekischen Minderheit. Immer wieder werden Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen wegen Verleumdung verurteilt, wenn sie Menschenrechtsverletzungen anprangern oder die Regierung kritisieren.

Anfang 2017 strengte die Generalstaatsanwaltschaft fünf Verfahren an. Diese richteten sich gegen die unabhängige Nachrichtenplattform Zanoza.kg sowie ihre Gründer Narnynbek Idinov und Dina Maslova. Die Justiz ermittelte auch gegen den kirgisischen Ableger von Radio Free Europe, Radio Azattyk, und gegen Cholpon Dzhakupova, die Direktorin von Adilet, einer Partnerorganisation von Brot für die Welt. Der Vorwurf: Sie hätten die Ehre des Präsidenten verletzt und Falschmeldungen verbreitet. Bislang steht vor allem die Generalstaatsanwaltschaft einseitig dem Präsidenten zur Seite und geht in seinem Interesse gegen Medienschaffende und Menschenrechtler*innen vor.

Pressefreiheit ist stark eingeschränkt

„Das Gesetz zu ,ausländischen Agenten‘ kann jederzeit wieder ins Parlament eingebracht werden“, sagt Ainura Osmonalieva von der Rechtsberatung Adilet. „2017 wurde unsere Direktorin, Cholpon Dzhakupova, zu einer Geldstrafe von 3,5 Millionen Som (umgerechnet 45.000 Euro) wegen Verletzung der Ehre des Präsidenten verurteilt.“ In einer Rede hatte sie auf dramatische Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit seit 2016 aufmerksam gemacht. „Eine der größten Herausforderungen für die kirgisische Zivilgesellschaft ist die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz“, sagt Osmonalieva.

Material zum Mitnehmen

Atlas der Zivilgesellschaft 2019

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