In vielen Staaten ist der Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft eingeschränkt
Einschränkung der Freiheit trifft vor allem Frauen
Milliarden Menschen erleben zurzeit, wie ihre Freiheitsrechte beschnitten werden. Der schrumpfende Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft bedroht besonders Frauen, aber auch Minderheiten wie LGBTI. Gleichzeitig erschwert eine rückwärtsgewandte Geschlechterpolitik Aktivistinnen und Aktivisten, sich gegen zunehmende Angriffe zu wehren.
Nur wenige leben frei
Lediglich drei Prozent der Weltbevölkerung genießen uneingeschränkte zivilgesellschaftliche Freiheiten. Sie leben in Staaten, die die Grundrechte voll respektieren und schützen wie Deutschland und Neuseeland. 14 Prozent der Menschheit lebt in Ländern, wo diese Grundrechte leicht eingeschränkt sind, etwa in Polen oder Südafrika. Damit leben aber 83 Prozent aller Menschen in Ländern, die die Grundrechte stärker beschränken (Ungarn), die Zivilgesellschaft unterdrücken (Russland) oder ein komplett geschlossenes Gesellschaftssystem geschaffen haben (China). Wenn Menschen die Machthaber in diesen Ländern kritisieren, werden sie schikaniert, inhaftiert oder sogar getötet. Das betrifft fast 6,3 Milliarden Menschen. Rund zwei Milliarden davon leben in gänzlich geschlossenen Gesellschaften, wo zivilgesellschaftliches Handeln durch staatliche Gewalt vollständig unterbunden wird.
Den Zustand der Zivilgesellschaft messen
Der Atlas der Zivilgesellschaft 2020 greift auf die Ergebnisse des CIVICUS-Monitors zurück, der weltweit umfassendsten Dokumentation zum Zustand der globalen Zivilgesellschaft. Die Nichtregierungsorganisation CIVICUS beobachtet dafür 194 Mitgliedstaaten der UN sowie Palästina und Taiwan (Province of China). Analystinnen und Analysten werten laufend Berichte von hunderten lokalen Nichtregierungsorganisationen und internationalen Partnerorganisationen aus sowie öffentliche Quellen. CIVICUS misst den Einschätzungen lokaler und regionaler Akteure dabei stärkere Bedeutung bei als jenen internationaler Experten. Daten staatlicher Stellen werden nicht berücksichtigt. Am Ende steht ein Index-Wert für jedes Land, der den Umfang der zivilgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten beschreibt.
Civic Space in Europa immer enger
Die gesellschaftlichen Freiheiten erodieren mittlerweile selbst in Weltregionen, in denen sie Teil des gesellschaftlichen Selbstverständnisses gewesen sind. In 13 der 27 EU-Staaten etwa stuft CIVICUS die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft heute als „beeinträchtigt“ ein. Das EU-Mitglied Ungarn steht sogar noch eine Stufe tiefer, hier ist die Zivilgesellschaft „beschränkt“. Das trifft in Europa sonst nur für die Ukraine zu und Serbien, das 2019 abgestiegen, weil dort Hass und Schmähkampagnen gegen Journalistinnen und Journalisten zunehmen. Staatschef Aleksandar Vučić bezeichnet kritische Berichterstatterinnen und Berichterstatter als „Lügner“ oder „Spione“. Auch die Diffamierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen nimmt in Serbien zu.
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Formen der Gewalt
Insgesamt 536 Meldungen über Angriffe auf zivilgesellschaftliche Tätigkeiten zwischen 1. Oktober 2018 und 11. November 2019 hat CIVICUS zuletzt ausgewertet. Die Fälle sind nicht repräsentativ, zeigen aber deutliche Muster politischer Repression. International besonders stark verbreitet ist demnach die staatliche Zensur von Medien ‒ einschließlich der Kontrolle des Internets und somit der sozialen Medien. Aufsehen erregte dabei etwa Russlands umstrittenes Internetgesetz, das am 1. November 2019 in Kraft trat und ein eigenes Internet unter kompletter Staatskontrolle vorsieht.
Regime lassen zudem oft Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger oder Oppositionelle festnehmen. In Kamerun etwa kamen im Spätsommer 2019 eine Reihe von Kritikern des Präsidenten Paul Biya ins Gefängnis ‒ kurz bevor ein „Nationaler Dialog“ den Konflikt zwischen dem anglophonen und dem frankophonen Teil des Landes befrieden sollte. Bei etwa jedem sechsten von CIVICUS untersuchten Fall handelte es sich um übermäßige Gewalt gegen Protestierende. In Guinea beispielsweise töteten staatliche Kräfte im Oktober 2019 neun Menschen, die gegen eine Verfassungsänderung protestierten, mit der Präsident Alpha Condé sich eine dritte Amtszeit ermöglichen wollte.
Im Visier: Frauen und ihre Organisationen
Frauen und Frauenrechtsorganisationen waren in mehr als jedem fünften der von CIVICUS registrierten Fälle von Angriffen auf die Zivilgesellschaft betroffen und stehen damit an oberster Stelle der am stärksten von Verfolgung betroffenen Gruppen. Frauen sind nicht nur angreifbarer, weil der öffentliche Raum noch immer von Männern dominiert wird. Frauen werden auch angegriffen, weil sie Frauen sind und sich als solche engagieren. Dabei sind Frauen heute sichtbarer denn je in Kämpfen um sozialen Fortschritt. Die Revolution im Sudan etwa, die dem Kriegsverbrecher Omar al-Bashir die Macht entriss, wird auf ewig mit dem Bild der Studentin Alaa Salah verbunden sein. Auch die schwedische Schülerin Greta Thunberg vermochte Millionen junge Menschen dazu zu bringen, das Nichtstun im Angesicht der Klimakatastrophe nicht länger hinzunehmen.
Gewalt und Todesdrohungen gegen Frauen
Von sexualisierten Beleidigungen über Angriffe auf die vermeintliche Ehre bis hin zu sexualisierter Gewalt und Mord: In allen Teilen der Welt zahlen Frauen einen besonders hohen Preis für ihr politisches und gesellschaftliches Handeln. Das gilt für landlose Bäuerinnen in Indien ebenso wie für Kongress-Abgeordnete in den USA, es gilt für streikende Textilarbeiterinnen in Bangladesch wie für Journalistinnen in Deutschland. „Im gegenwärtigen politischen Klima, mit seinem Rollback gegen die Menschenrechte, sind Frauen, die diese Rechte verteidigen, oft die ersten, die angegriffen werden“, sagt Michel Forst, UN-Sonderberichterstatter für die Situation von Menschenrechtsverteidigern.
Hass in sozialen Medien
Je stärker das Internet ein Ort ist, an dem eine globale Zivilgesellschaft agiert, desto stärker wendet sich Hassrede dort gegen Frauen. In der bislang größten Studie zum Thema untersuchten Forscherinnen und Forscher im Auftrag von Amnesty International Tweets aus dem Jahr 2018 an 778 britische und US-amerikanische Politikerinnen und Journalistinnen. Diese bekamen hochgerechnet 1,1 Millionen problematische Tweets. Während einer von 15 Beiträgen an weiße Frauen Hassbotschaften enthielt, war es bei schwarzen Frauen sogar jeder zehnte Beitrag.
Die Anti-Gender-Bewegung auf dem Vormarsch
Treiber des Rollbacks gegen die Rechte von Frauen und LGBTI sind religiöse Fundamentalisten, Antifeministen und Rechtspopulistinnen. Weltweit gewinnen ihre Ideen an Akzeptanz, auch weil sie sich strategisch aufstellen und international vernetzen. Besonders deutlich wird das am Beispiel des Weltfamilienkongresses, der als ihr weltweit wichtigstes Treffen gilt. Er zeigt deutlich die Verknüpfung zwischen rechtsnationalen Parteien und der Anti-Gender-Bewegung.
Das wichtigste internationale Forum für die Durchsetzung von Frauenrechten sind die Vereinten Nationen. Die Anti-Gender-Bewegung hat die Relevanz der Vereinten Nationen jedoch ebenfalls erkannt und versucht, Menschenrechtsverträge zu untergraben, die Frauen- und LGBTI-Rechte explizit schützen, sowie Allianzen über Religionen, Staaten und übliche Bündnisse hinweg zu schließen.
Wie Deutschland die Freiheit verteidigen kann
Brot für die Welt fordert von der Bundesregierung, sich weltweit für eine unabhängige Zivilgesellschaft und für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen. Die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung darf nicht zur Einschränkung des Civic Space führen. Auf allen Ebenen sollen sich offizielle Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung insbesondere für eine aktive, gleichberechtigte und demokratische Teilhabe von Frauen einsetzen.
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