Members of the Fray Matias de Cordova Human Rights Center hand out water and cereal bars to migrants and asylum seekers from Central America and the Caribbean walking in a caravan headed to the Mexican capital to apply for asylum and refugee status, on a highway in Mapastepec, in Chiapas state, Mexico August 31, 2021. REUTERS/Jose Torres REFILE - CORRECTING HUMAN RIGHTS CENTER'S NAME
Mexiko

Staat und Kartelle arbeiten Hand in Hand

Hunderttausende Migrant:innen durchqueren Mexiko auf ihrem Weg nach Norden. Wer sie unterstützt, lebt gefährlich. Der Präsident tut zu wenig für ihren Schutz.

Jeden Morgen bittet der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador, genannt AMLO,  im Nationalpalast zur Pressekonferenz, seiner mañanera. Ab sieben Uhr äußert er sich zu aktuellen Entwicklungen. Immer wieder pickt sich der Präsident einzelne Organisationen oder Journalist:innen heraus und greift sie an. In seinem Fokus stehen vor allem zivilgesellschaftliche Akteure, die für Umwelt und Klimaschutz eintreten, für Gleichberechtigung und Menschenrechte. Oder NGOs, die Migrant:innen unterstützen. Als wolle er gar nicht, dass sich jemand um dieses Thema kümmert.

NGOs, die er ins Visier nimmt, seien aus dem Ausland finanziert und arbeiteten schlecht. Solche Attacken gegen Unterstützer:innen von Migrant:innen, an denen auch staatliche Institutionen beteiligt sind, gibt es nach Angaben von COMDHSE zuhauf, einem Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen. Immer wieder wird beispielsweise migrant defenders, die rechtlich beraten, die Arbeit mit Migrant:innen verwehrt ‒ auch mit Gewalt. Manche würden aus den Büros der Migrationsämter geworfen, dort ohne ihre Zustimmung fotografiert und bedroht. In anderen Fällen hindern sogar Nationalgarde oder Polizei die Menschenrechtsverteidiger:innen an ihrer Arbeit. Die Begründung: Was sie täten, sei rechtswidrig, die Begleitung von Asylsuchenden verboten. Doch Hunderttausende Frauen, Männer und Kinder, die Mexiko auf der Suche nach einem besseren Leben durchqueren, brauchen diese Hilfe dringend.

Mexiko: Ein Land in Geiselhaft

Allein im Jahr 2022 haben mehr als 600.000 Migrant:innen die mexikanische Südgrenze überschritten, schätzt das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR. Viele von ihnen haben weiterhin die USA als Ziel. Doch immer mehr von ihnen versuchen auch, sich ein neues Leben in Mexiko aufzubauen. Und Mexiko ist auch selbst Herkunftsland von Migrant:innen. Im Land herrscht große Ungleichheit, jungen Menschen fehlt die Perspektive. Hinzu kommt die seit 2006 eskalierende Gewalt: Drogenkartelle und organisierte Banden, staatliche Akteure und Militär ‒ und oft auch ein Zusammenspiel aller ‒ nehmen das Land in Geiselhaft. Seit 2006 wurden mehr als 110.000 Personen offiziell als verschwunden registriert. Allein im Jahr 2021 wurden 34.000 Menschen ermordet. Migrant:innen sind beliebtes Ziel der Kriminellen: Viele werden auf dem Weg überfallen, geschlagen, vergewaltigt, ausgeraubt oder ermordet.

Nach Zahlen der Nationalen Menschenrechtskommission wurden in den Jahren 2011 bis 2020 mindestens 70.000 Flüchtende von Menschenhändlern, Drogenkartellen, Polizei, Nationalgarde und anderen entführt. Viele wurden Opfer von Organhandel, zur Prostitution gezwungen oder versklavt, auch ins Ausland verschleppt. Jede dritte Frau auf der Flucht in Mexiko berichtet von sexualisierter Gewalt. Unzählige Menschen werden in speziellen staatlichen Auffanglagern festgehalten. Viele Geflüchtete, die durch das Land ziehen, tauchen nie wieder auf. Auch deswegen organisieren sich Migrant:innen in Karawanen ‒ nach dem Prinzip: Je mehr, desto sicherer.

Migrant defenders riskieren ihr Leben

Verletzt werden auch die Rechte derjenigen, die Migrant:innen auf ihrem Weg unterstützen. Menschenrechtsverteidiger:innen stellen Wasser und Essen bereit, kümmern sich um eine medizinische Versorgung, dokumentieren Rechtsverletzungen. Sie begleiten Migrant:innen an den Grenzübergängen, beraten sie rechtlich, organisieren Unterkünfte für sie und setzen sich bei Regierungen für deren Rechte ein.

Diese Arbeit ist wichtig, weil Migrant:innen von staatlicher Seite so gut wie keine Unterstützung bekommen. Damit setzen sich Aktivist:innen großer Gefahr aus, sagt Michel Forst, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für die Lage von Menschenrechtsverteidiger:innen. Kriminelle nehmen auch die Menschenrechtsverteidiger:innen „durch Erpressung, Vergewaltigung, Entführung und Mord ins Visier“, schreibt Forst in einem Bericht zur Lage in Mexiko. Diese Gruppen wollen sich von niemandem das Geschäft kaputtmachen lassen. Auch staatliche Behörden, die für Migration zuständig sind, und private Sicherheitsfirmen, die beispielsweise entlang von Eisenbahnlinien die Migrationsrouten überwachen, schikanieren laut Forst Aktivist:innen und delegitimieren deren Arbeit, indem sie argumentieren, ihre Arbeit sei widerrechtlich. Dieses Hand-in-Hand-Gehen staatlicher mit nichtstaatlichen Akteuren gegen migrant defenders sei kennzeichnend für Mexiko, sagen NGOs.

Wer schützt, bedroht die Geschäfte

Diffamierungen, falsche Anschuldigungen, illegales Ausspähen sind bedrohlich ‒ und oftmals die Vorstufe zu direkter physischer Gewalt. Das musste der Baptisten-Pastor Lorenzo Ortíz erfahren, als er von den Angehörigen eines Kartells in Nuevo Laredo entführt wurde. Ortíz arbeitet seit fünf Jahren in der Stadt an der US-Grenze und unterstützt Migrant:innen mit dem Allernötigsten: mit Essen, Kleidung, Medizin. Er unterhält auch fünf Flüchtlingsunterkünfte im Norden Mexikos. Doch das Kartell verdient Geld mit Schlepperei und Menschenhandel; einer wie Ortíz, der sie schützt, bedroht die Geschäfte.

Am Abend des 6. Juni 2022 wurde Ortíz seine Hilfsbereitschaft zum Verhängnis: Er und 15 Menschen, die er untergebracht hatte, wurden verschleppt. Die Entführer drohten, den Pastor zu töten, und forderten umgerechnet 40.000 US-Dollar Lösegeld ‒ die Summe reduzierten sie später auf 20.000 US-Dollar. Ortíz und seine Mitgefangenen hatten Glück: Die Nationalgarde befreite sie nach 29  Stunden. Ortíz selbst trifft eine kühle Einschätzung der Lage: „Für das Kartell ist das alles ein Geschäft ‒ sie sehen Menschen als Ware“, sagte er nach der Freilassung. Er ist sich der Gefahr bewusst, der er sich aussetzt, weil er Migrant:innen in Nuevo Laredo betreut, und räumt ein:„Womöglich zahlen wir einen hohen Preis.“ Er ist dieses Mal davongekommen. Aber seine Hilfe bleibt lebensgefährlich.

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