Wie weit ist der digitale Kolonialismus schon fortgeschritten?

Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Art zu kommunizieren und zu konsumieren. Auch der internationale Handel organisiert sich völlig neu. Bislang gelten dafür noch Regeln, die jahrzehntealt sind. Wird nicht bald gegengesteuert, droht ein digitaler Kolonialismus. Ein Faktencheck.

Ungerechte Verteilung von Lasten und Nutzen

Nach Angaben der Vereinten Nationen belief sich der Wert digital gehandelter Güter im Jahr 2018 auf über 26 Billionen Dollar. Das entspricht rund einem Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts. Das dazugehörige Handelsrecht stammt allerdings immer noch aus der Zeit, bevor zum Beispiel ebay 1996 an den Start ging. Ohne eine straffe Regulierung droht eine Welt, in der einige wenige Digitalkonzerne über den Daten- und damit den Warenverkehr in Nationalstaaten bestimmen können.

Grafiken zur Erdölwertschöpfungs- und Datenwertschöpfungskette

Damit würde sich wiederholen, was mit dem Kolonialismus vor 500 Jahren schon einmal für eine sehr ungerechte Verteilung von Nutzen und Lasten gesorgt hat. Die großen Text-Konzerne aus dem Globalen Norden stellen digitale Infrastruktur, umfangreiche Rechenleistungen und modernste Algorithmen bereit. Dem Globalen Süden bleibt die Rolle des Daten- und Rohstofflieferanten und Menschen werden auf Konsumentinnen und Konsumenten reduziert, deren einzige Aufgabe darin besteht, zur Maximierung von Profiten beizutragen. Verwehrt bleibt ihnen die Chance, auf der Grundlage ihrer eigenen Kultur und zugeschnitten auf ihre Bedürfnisse selbst digitale Instrumente zu entwickeln.

Es gibt schon seit längerem Versuche, diesen digitalen Kolonialismus zu stoppen. Wie weit dieser Prozess bereits fortgeschritten ist, zeigt allerdings dieses Quiz. Sie müssen sich jeweils entscheiden: Stimmt die aufgestellte Behauptung oder stimmt sie nicht?

 

Marktanteile

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Tatsächlich teilen sich die sieben Konzerne nicht 50, sondern 70 Prozent der Marktanteile. Fünf dieser Konzerne haben ihren Sitz in den USA: Amazon, Apple, Meta (früher Facebook), Alphabet (früher Google) und Microsoft. Die anderen zwei Unternehmen kommen aus China: Alibaba (betreibt unter anderem das chinesische Pendant zu ebay) und Tencent (betreiben u.a. Chat-Dienste, Spiele-Plattformen, soziale Netzwerke und Online-Bezahldienste).

Weitere 20 Prozent der Gewinne entfallen auf mittelgroße Plattformen, die ihren Sitz ebenfalls in den USA oder China haben. Das bedeutet: Unternehmen aus zwei Ländern erwirtschaften 90 Prozent des globalen Umsatzes im digitalen Handel. Das ist nicht nur eine unfaire Verteilung von Wettbewerbschancen. Ein solcher digitaler Kolonialismus hat für viele Länder des globalen Südens weitreichende Folgen. Eine der wertvollsten Ressourcen der Menschen im Globalen Süden wandert dadurch zu den reichsten Unternehmen der Welt: ihre Daten.

 

Digitalisierungsboom

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Glaubt man Medienberichten, geht durch ganz Afrika eine Gründerwelle von Start-ups in der Digitalwirtschaft. Eine genauere Betrachtung aber zeigt, dass hinter vielen afrikanischen Digitalunternehmen ausländische Investoren stehen, die im Stile von Kolonialmächten auftreten. Viele der Jungunternehme schaffen es erfolgreich bis zur Marktreife. Die Profite werden aber in Industriestaaten des Nordens abgeschöpft.

Dieses Ziel verfolgte auch die Berliner Start-up-Fabrik Rocket Internet, als sie 2012 in die nigerianische E-Commerce-Plattform Jumia investierte. Die ist mittlerweile in 21 Ländern Afrikas und des Mittleren Ostens tätig. Im April 2019 folgte der Börsengang der Jumia International AG an der New York Stock Exchange – Rocket Internet brachte das rund 200 Millionen US-Dollar ein. Weitere Anteilseigner sind die südafrikanische Telekomgruppe MTN, die US-Bank Goldman Sachs sowie die französischen Konzerne Axa und Orange. Anstatt lokale Unternehmen aufzubauen, können transnationale Konzerne so ihre marktbeherrschende Stellung ausbauen.

 

Monopole

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Kenias mobiles Bezahlsystem M-Pesa gilt als Musterbeispiel für eine inklusive Digitalisierung, die insbesondere den Armen zugutekommt. Per Handyguthaben und SMS können die Nutzer:innen zahlreiche Güter und Dienstleistungen bezahlen – von der Tankfüllung über den Einkauf bis zur Stromrechnung. Weniger bekannt: Hinter der Entwicklung von M-Pesa stand eine Kollaboration der damaligen britischen Entwicklungsagentur DFID mit der britischen Vodafone. DFID unterstützte M-Pesa mit einem Millionenzuschuss und bewegte die kenianische Zentralbank dazu, das Zahlungssystem zu protegieren, obgleich es dem kenianischen Banksektor Konkurrenz machen würde.

Dadurch konnte Safaricom, das zu 40 Prozent Vodafone gehört, seine marktbeherrschende Stellung im mobilen Telefonieren auch auf mobile Zahlungssysteme ausdehnen und erreichte mit über 95 Prozent des Marktanteils schließlich eine Monopolstellung. Heute ist Safaricom das profitabelste Unternehmen in Ostafrika. Das bedeutet: Mit Vodafone verdient eines der größten Mobilfunkunternehmen der Welt an M-Pesa kräftig mit und kann sein digitales Imperium weiter ausbauen.

 

Kredite

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Auf dem afrikanischen Markt sind Digitalkredite ein florierendes Geschäft. Die Verbraucherkrediten werden ausschließlich über Handys und Smartphones vergeben – und damit meist jenseits jeglicher staatlicher Regulierung. Der mangelhafte Verbraucherschutz erhöht das Armutsrisiko. Denn viele Kreditnehmer:innen tappen in die Schuldenfalle, etwa wegen intransparenter Kosten.

Ein Beispiel ist M-SHWARI, das 2012 von Safaricom gemeinsam mit der Commercial Bank of Africa (CBA) ins Leben gerufen wurde. Anstatt den Kredit bei der Bank zu beantragen, erfolgt die Aus- und Rückzahlung über M-Pesa-Wallet. M-Pesa erhebt zwar keine Zinsen auf das Darlehen, - jedoch eine Einrichtungsgebühr in Höhe von 7,5 Prozent des in Anspruch genommenen Darlehens. Der Haken bei der Sache ist: Das Darlehen muss bereits nach 30 Tagen zurückgezahlt werden. Eine Verlängerung der Rückzahlungsfrist um weitere 30 Tage ist möglich, kostet jedoch wiederum eine Gebühr von 7,5 Prozent. Hochgerechnet entspricht dies einem Jahreszinssatz von 90 Prozent.

Aus einer Untersuchung über Digitalkredite in Ostafrika geht hervor: Bereits ein Drittel der befragten Handy-Besitzer:innen in Kenia und ein Fünftel in Tansania nahmen Kredite über das Handy auf. Doch über die Hälfte dieser Menschen geriet bei der Tilgung des Kredites in Rückstand, während andere die Ratenzahlung ganz einstellen mussten. In Tansania konnten 31 Prozent und in Kenia 12 Prozent der Kund:innen ihre Kredite nicht zurückzahlen. Viele der Schuldner:innen sparten an Lebensmitteln, um die Raten zahlen zu können. Ein signifikanter Teil gab an, weder die Kosten realisiert noch die Bedingungen der Kredite verstanden zu haben, die sie über ihr Handy aufgenommen hatten.

 

Biometrische Erfassung

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Indien betreibt die weltweit größte biometrische Datenbank namens Aadhaar. Sie erfasst 1,4 Milliarden Menschen. Neben Name, Geschlecht und Geburtsdatum werden auch biometrische Daten wie der Scan der Iris erfasst. Obwohl das System zahlreiche Sicherheitsmängel aufweist, erhalten Inder:innen ohne Eintrag kein subventioniertes Kochgas, keine Rentenzahlungen, Stipendien oder Jobs. Die Datenbank sorgt immer wieder für Negativ-Schlagzeilen.

So standen die Daten von Bürger:innen für umgerechnet weniger als zehn Euro online zum Verkauf. Aus menschenrechtlicher Perspektive sehr bedenklich: Eine Deaktivierung durch die Behörden führt bei den Betroffenen zu einem Verlust des Zugangs zu staatlichen Leistungen. Die Weltbank hat Aadhaar nichtsdestotrotz umfassend gefördert. Indien war aber erst der Anfang. Nach Ansicht der Weltbank soll die sogenannte digitale Inklusion in weiteren Ländern des Globalen Süden aufgebaut werden. Digitale Inklusion ist allerdings auch nur eine hübschere Formulierung als: digitaler Kolonialismus.

 

Kontrolle

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Seit 2019 verhandelt eine Gruppe von WTO-Mitgliedsstaaten fernab der Öffentlichkeit über ein Handelsabkommen zum E-Commerce. Was nach einer Vereinbarung über den Online-Handel klingt, enthält bei näherer Betrachtung eine politisch hoch brisante Agenda. Geht es nach dem Willen der großen Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley, dann soll die WTO mit dem Handelsabkommen die Souveränität von Staaten noch weiter beschneiden – ein weiterer Schritt hin zu digitalem Kolonialismus.

Durch den Handelsvertrag könnten zukünftig staatliche Stellen gehindert werden, Quellcodes ausländischer Unternehmen wie beispielsweise Huawei zu öffnen. Ein Einblick in Quellcodes ist allerdings wichtig, um etwa zu überprüfen, ob Software oder Algorithmen nach Hautfarbe oder Geschlecht diskriminieren.

Auch die Forderung von Staaten, ausländische Unternehmen zur Speicherung sensibler Daten auf heimischen Servern zu zwingen, könnte dann ins Leere laufen. Also konkret: dass ein in Indien tätiges US-Unternehmen persönliche Daten von Inder:innen auch auf einem Server in Indien speichern muss, damit Indiens Datenschutz gewährleistet ist. Wird diese Forderung nicht erfüllt, ist der Wild-West-Zustand der Plattform-Ökonomie zementiert.

 

Transparenz

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Im Herbst 2015 demonstrierten 250.000 Menschen vor dem Brandenburger Tor gegen die intransparent geführten Verhandlungen über das ‚Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen‘, besser bekannt als „TTIP“. Die neu gewählte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström versprach daraufhin mehr Transparenz in der europäischen Handelspolitik.

Doch Geschichte wiederholt sich: Auch die vor drei Jahren begonnenen Verhandlungen über ein Abkommen zum digitalen Handel, an denen die EU beteiligt ist, werden wieder hinter verschlossenen Türen geführt. Und auch die dabei entstehenden Texte bleiben unter Verschluss. Die EU rechtfertigt dies damit, dass den verhandelnden Staaten überhaupt kein Mandat für Verhandlungen vorliegt und sie sich lediglich alle zwei Monate zu informellen Gesprächen treffen. Trotzdem konnte eine niederländische NGO den 90 Seiten umfassenden Verhandlungstext leaken. Nach einer Transparenz-Offensive der EU sieht das nicht aus.

 

Verhandlungsmacht

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Rein formal haben die Länder des Globalen Südens in der Welthandelsorganisation das gleiche Stimmrecht wie führende Industrienationen. Denn in der WTO gilt die Regel ‚Ein Land, eine Stimme‘. In der Praxis werden die Verhandlungen jedoch nur von einigen wenigen Ländern bestimmt. Die Verhandlungen über ein Abkommen zum digitalen Handel machen da keine Ausnahme.

Im Gegenteil: Ein Blick auf den aktuellen Verhandlungstext zeigt: 70 Prozent der eingebrachten Vorschläge stammen von nur sieben Staaten (USA, China, Japan, Südkorea, Singapur, Chile und Kanada) und der EU. Keine einzige Zeile geht hingegen auf eines der 43 Entwicklungsländer zurück. Das liegt unter anderem daran, dass in deren Handelsdelegationen viel weniger Delegierte sitzen und es zum digitalen Handel kaum Expertise gibt.

 

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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