Wie weit ist der digitale Kolonialismus schon fortgeschritten?
Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Art zu kommunizieren und zu konsumieren, sie organisiert auch die Weltwirtschaft neu. Die Regeln dafür machen bislang die großen Tech-Konzerne aus den USA und China, die damit den Globalen Süden ausbeuten wie zu Zeiten des traditionellen Kolonialismus.
Digitale Marktmacht des Nordens
Die Dominanz von Google, Amazon, Alibaba und Co. hat viele Gesichter. Nach Angaben der Vereinten Nationen entfallen 70 Prozent der Marktanteile der Plattform-Ökonomie auf lediglich sieben chinesische und US-amerikanische Konzerne. Weitere 20 Prozent teilen sich mittelgroße Plattformen, die ebenfalls in den USA oder China sitzen. Mit anderen Worten: In zwei Länder fließen rund 90 Prozent der Gewinne. 194 Staaten müssen sich demgegenüber mit lediglich 10 Prozent begnügen. Dabei entfallen auf Afrika magere 1,3 Prozent.

Digitale Ausbeutung des Globalen Südens
Damit wiederholt sich, was mit dem Kolonialismus vor 500 Jahren schon einmal für eine extrem ungerechte Verteilung von Nutzen und Lasten gesorgt hat. Die großen Tech-Konzerne aus dem Globalen Norden stellen digitale Infrastruktur, umfangreiche Rechenleistung und modernste Algorithmen bereit. Dem Globalen Süden bleibt die Rolle des Daten- und Rohstoff-Lieferanten, und die Menschen sind auf Konsumentinnen und Konsumenten reduziert, deren einzige Aufgabe darin besteht, zur Maximierung von Profiten beizutragen. Verwehrt bleibt ihnen die Chance, auf der Grundlage ihrer eigenen Kultur und zugeschnitten auf ihre Bedürfnisse selbst digitale Instrumente zu entwickeln.
Es gibt schon seit Längerem Versuche, diesen digitalen Kolonialismus zu stoppen. Wie weit dieser Prozess bereits fortgeschritten ist, zeigt das folgende Quiz. Sie müssen sich jeweils entscheiden: Stimmt die aufgestellte Behauptung oder stimmt sie nicht?
FAQ: Fragen und Antworten zum digitalen Kolonialismus
Nein. Die australische KI-Forscherin Kate Crawford formuliert es so: „Künstliche Intelligenz ist weder künstlich noch intelligent.“ Das gilt auch für das beliebte Tool ChatGPT. Wie die meisten Systeme, auf denen heutzutage das KI-Label klebt, beruht auch ChatGPT auf maschinellem Lernen. Damit ChatGPT nicht irgendetwas nachplappert, sondern die gewünschten Dinge sagt, muss es mit den richtigen Daten gefüttert werden. Für diese Arbeit braucht es Menschen. Der Erfolg von ChatGPT beruht nämlich zu einem großen Teil darauf zu wissen, was sie nicht sagen darf: Anstößiges, Verletzendes, Gewalttätiges. Damit wir KI und Soziale Medien unbeschwert nutzen können, müssen Datenarbeiter*innen massenhaft traumatisierende Bilder und Texte von Kindesmissbrauch, Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen anschauen oder lesen und dann aussortieren.
Diese Datenarbeiter*innen sind aufgrund der geringen Löhne vor allem in Ländern des Globalen Südens beschäftigt, etwa in Kenia, Uganda, Indien oder Costa Rica. Ausgebeutet werden sie insbesondere von Tech-Konzernen aus dem Norden: Google, Meta, Microsoft und OpenAI. Nach Schätzungen der Weltbank sind über 100 Millionen Datenarbeiter*innen weltweit tätig.
Ja. In Ländern des Globalen Südens erleben tausende Aktivisten und Bloggerinnen aufgrund ihrer Posts oder Artikel Zensur und Einschüchterung durch autoritäre Regierungen. Sie werden nicht nur öffentlich diffamiert, sondern auch auf Grundlage bestimmter Digital-Gesetze zu langen Haftstrafen verurteilt, etwa in Ägypten, Myanmar oder Saudi-Arabien.
In Indonesien zum Beispiel bekämpft die Regierung unliebsame Stimmen im Netz mit einem Gesetz, das ursprünglich dazu diente, beim Online-Handel den Umgang mit Hass-Kriminalität und Falschmeldungen zu verhindern. Die indonesische Regierung nutzt dieses Gesetz inzwischen als Allzweckwaffe, um die Zivilgesellschaft mundtot zu machen. Seit 2021 durchsucht eine Cyber-Einheit der Polizei Soziale Medien und Chat-Apps nach vermeintlich strafrechtlichen Inhalten. Sogar wer nur in halb-öffentlichen Chatgruppen die Regierung kritisiert, kann im Gefängnis landen. In Westpapua drosselte die Regierung das Internet und schaltete es zeitweise ganz ab. Dadurch hatten lokale Menschenrechtsaktivist*innen große Schwierigkeiten, Übergriffe zu überprüfen, zu dokumentieren und öffentlich zu machen, wie KontraS berichtet, ein Partner von Brot für die Welt. KontraS ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich für Verschwundene und andere Opfer staatlicher Gewalt einsetzt.
Ja. Einer der wichtigsten Rohstoffe des digitalen Wandels ist Lithium. Ohne Lithium-Ionen-Akkus gäbe es weder Laptops noch Smartphones. Die Region mit den weltweit größten Vorkommen ist das sogenannte Lithiumdreieck in Südamerika, zwischen Argentinien, Bolivien und Chile. Hier sollen mehr als 70 Prozent der weltweiten Lithiumvorkommen lagern.
Die Region gehört zu den trockensten Gegenden der Welt, und die Lithiumgewinnung verbraucht extrem viel Wasser. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel. Die Folge: Die Vegetation vertrocknet, Böden versalzen und Vogelarten sterben aus. „Das Lithium bringt vielleicht Millionen von Dollar, aber dafür wird unsere Lebensgrundlage geopfert“, sagt der Aktivist Cristian Espindola aus Chile.
Sicher nicht. Zwischen den Tech-Konzernen aus den USA und China ist zwar ein regelrechtes Wettrennen entbrannt, diese Menschen ans Internet anzuschließen, aber nicht aus Nächstenliebe. In Wahrheit ist es ein Ringen um Daten, Macht, Kontrolle und Profit. Gegenwärtig verlegen Google, Meta und Huawei in großem Umfang Unterseekabel. 99 Prozent des weltweiten Datenverkehrs fließen durch Kabel, die nicht dicker sind als ein Gartenschlauch, aber tief unter der Meeresoberfläche liegen.
Der Aktivist Africa Kiiza von unserer Partnerorganisation SEATINI aus Uganda, sieht in den Unterseekabel-Projekten eine „neue Front des digitalen Kolonialismus“. In Anlehnung an die Berliner Konferenz von 1885, bei der die europäischen Großmächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten, spricht er von einem „neuen Wettlauf um Afrika“. Die während der Kolonialzeit aufgebauten Eisenbahnverbindungen in Afrika dienten ebenfalls nicht den Menschen vor Ort, sondern dem Transport von Erz, Baumwolle und anderen Rohstoffen nach Europa. Die Verlegung der Seekabel gleicht ebenfalls einer Einbahnstraße. Die Daten der afrikanischen Nutzerinnen und Nutzer sollen in den Rechenzentren in den USA und China landen, um sie letztendlich in Gewinne zu verwandeln. Die mit dem Aufbau der digitalen Infrastruktur einhergehenden Kosten tragen hingegen die afrikanischen Gesellschaften und treiben sie in die Verschuldung.
Ja. Chinas neue Seidenstraße, an der inzwischen über 150 Länder beteiligt sind, hat seit 2015 auch eine digitale Komponente. Das gigantische Infrastrukturvorhaben verläuft nicht nur über Land und Wasser, es hat auch eine digitale Komponente. Dank modernster Technologien aus China werden die afrikanischen Mobilfunknetze immer weiter ausgebaut. Neue Glasfasernetze und Rechenzentren von chinesischen Firmen erweisen sich für die afrikanischen Staaten als ein zweischneidiges Schwert. Sie benötigen zwar dringend digitale Infrastruktur, zugleich machen sie sich jedoch von den Tech-Konzernen und Banken aus China abhängig. Mindestens 38 der 55 afrikanischen Staaten arbeiten inzwischen eng mich chinesischen Tech-Konzernen im digitalen Sektor zusammen.
Während immer mehr Daten nach China abfließen und chinesische Produkte kaum noch aus dem Alltag der Afrikaner*innen wegzudenken sind, verschulden sich immer mehr afrikanische Staaten bei chinesischen Banken. Besonders problematisch: Der Export chinesischer Überwachungstechnologie. Automatisierte Kameras und Sensoren aus China erlauben autoritären Regierungen die Kontrolle ihrer Bevölkerung und oppositioneller Gruppen. Auch Chinas Konzerne und die Regierung haben Zugriff auf die Überwachungsdaten. Das ermöglicht Peking geopolitische Großmacht-Träume von einer neuen digitalen Weltordnung unter chinesischer Führung.
Nein. Die EU ist zwar Pionierin bei der Regulierung der Digitalisierung und führender Tech-Konzerne wie Apple oder Google. Brüssel unterstützt aber auch europäische Technologie-Unternehmen wie Siemens bei ihrem Expansionskurs im Globalen Süden und tritt damit in einen geopolitischen Wettstreit. Europas Antwort auf Chinas neue Seidenstraße heißt: Global Gateway, „Das Tor zur Welt“. Neben Eisenbahnstrecken und Pipelines sollen Glasfaserkabel und Satellitensysteme insbesondere Afrika mit Europa verbinden. Das Ziel: gemeinsame Datenmärkte. Nichtregierungsorganisation aus dem Globalen Süden wie unsere Partnerorganisation SEATINI aus Uganda befürchten jedoch, dass genau wie bei den Projekten US-amerikanischer oder chinesischer Konzerne die Daten in einer Einbahnstraße verlaufen werden: von Afrika nach Europa, aber nicht umgekehrt.
Leider nicht. Es klingt zwar so in der Erzählung von Amazon, Microsoft & Co, in deren Smart-Farming-Visionen biotechnologisch verbesserte Pflanzen von Drohnen überwacht und von Robotern gehegt werden. Doch es geht gar nicht darum, die Erträge in Afrika zu steigern. Die wahre Ernte wird weit weg vom Acker eingefahren. Die Agrar- und Tech-Konzerne „sammeln so viele Daten wie möglich von allen Knotenpunkten des Lebensmittelsystems und finden Wege, von diesen Daten zu profitieren“, meint die Landwirtschaftsexpertin Kartini Samon von unserer Partnerorganisation GRAIN. Eine verheerende Entwicklung für jene Menschen, denen täglich Hunger und Mangelernährung droht.
Ja. Aktuell bestimmen noch mächtige Tech-Konzerne über die Digitalisierung und damit über das Leben aller Menschen. Doch das ist keine unveränderbare Tatsache. Um raus aus dem digitalen Kolonialismus zu kommen, müssen wir zuerst die Augen öffnen für die Folgen des digitalen Raubzugs im Globalen Süden: Verschuldung und Abhängigkeit, Datenraub an Kleinbäuerinnen und Indigenen, Unterdrückung oppositioneller Gruppen mittels digitaler Überwachungstechniken. Wir müssen uns einsetzen für eine bürgernahe Gesetzgebung und die Einrichtung dezentraler, lokaler Technologien. Die Digitalisierung muss so gestaltet werden, dass die Rechte der Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika genauso geachtet werden und mit ihren Daten genauso sensibel umgegangen wird wie beispielsweise in der EU.
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