älterer Mann läuft an vier Überwachungskameras vorbei
Digitalisierung als Chance oder Gefahr

Wenn der Staat als Big Brother die Zivilgesellschaft bedroht

Das Internet ist in vielen Regionen der Welt eine unentbehrliche Quelle für unabhängige Informationen ‒ vor allem in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit. Eine besondere Rolle spielen Plattformen wie Twitter, Facebook, Instagram und Whatsapp. Durch sie können Aktivistinnen, Blogger und soziale Bewegungen ihre Botschaften und Anliegen schnell und direkt verbreiten. Doch die digitale Infrastruktur birgt auch Risiken.

Staatlich verordnetes Cybermobbing

Weltweite soziale Bewegungen wie Fridays for Future können wir uns ohne moderne Kommunikationsmittel nicht vorstellen. Doch immer mehr Regierungen versuchen, die schnelle digitale Vernetzung und Mobilisierung der Zivilgesellschaft zu verhindern. In Togo und Iran werden bei Protesten oder im Umfeld wichtiger Wahlen digitale Dienstleistungen  einfach abgeschaltet. In Kamerun und Indien werden in Krisenregionen, in denen Minderheiten leben, Internet und Kommunikationsmöglichkeiten für bestimmte Bevölkerungsgruppen blockiert.

Hetzkampagnen gegen kritische Stimmen und Andersdenkende nehmen heute meist in sozialen Medien ihren Anfang. Aktivistinnen und Aktivisten werden online bedroht und beleidigt. Ein weiteres Problem belegt eine Untersuchung des German Institute of Global and Area Studies (GIGA): Regierungen, etwa die thailändische und die philippinische, nutzen systematisch soziale Netzwerke, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. In vielen Ländern riskieren Menschen, die sich online kritisch äußern, eingesperrt zu werden. Das berichten wir auch im Atlas der Zivilgesellschaft 2020.

Neue Dimension der Kontrolle

Überwachung ist kein neues Problem. Neu ist jedoch der Umfang der Überwachung durch die Digitalisierung. Die Technologie eröffnet völlig neue Möglichkeiten, das Privatleben und Kommunikation der Menschen zu erfassen. Überwachungstrojaner können verschlüsselte Gespräche abhören oder Smartphones ohne Wissen der Nutzer durchsuchen. All dies lähmt zivilgesellschaftliches Engagement und führt oftmals zu Selbstzensur.

Das massive Sammeln von Informationen schwächt demokratische Prozesse. Es untergräbt auch Demokratisierungsbemühungen in autoritären Systemen. Wie systematisch und weit verbreitet Regierungen Aktivistinnen, Journalisten und Teile der Bevölkerung ausspionieren, zeigt der Bericht Surveillance and Democracy vom International Network of Civil Liberties Organizations (INCLO) 2016. In vielen Staaten sind die rechtlichen Vorgaben zur Begrenzung von Überwachungsbefugnissen unklar, Nachrichten- und Geheimdienste werden kaum kontrolliert. 

Punktesystem in China

China ist es mittlerweile gelungen, sich vom globalen Internet weitgehend abzukoppeln und ein großes, nationales Intranet zu errichten, das nahezu vollständig überwacht werden kann. Auch mit dem sogenannten Sozialkreditsystem, das im Moment in Pilotregionen getestet und 2020 in ganz China eingeführt werden soll, hat die digitale Überwachung neue Dimensionen erreicht. Wer sich regierungskonform verhält, erhält Punkte, wer das nicht tut, verliert Punkte. Fällt der Punktestand unter einen bestimmten Wert, kann das dazu führen, dass die Betroffenen keine Kredite erhalten, keine Reisen antreten oder ihre Kinder keine guten Schulen besuchen dürfen. Die Daten sollen in einem Zentralregister angelegt werden, das öffentlich einsehbar sein wird.

Die Hürde für kritische Aussagen oder gar Demonstrationen gegen Regierungspolitik in China wird damit immer höher und unabhängiges zivilgesellschaftliches Engagement immer schwieriger.

Was die Bundesregierung tun muss

Dies sind große Herausforderungen, die ein aktives Handeln der Bundesregierung erfordern. Doch auch in Deutschland sind Stimmen der Zivilgesellschaft im politischen Diskurs zu Veränderungen durch neue Technologien unterrepräsentiert. Ein prominentes Beispiel dafür ist der „Digitalrat“ der Bundeskanzlerin, in dem zivilgesellschaftliche Expertise fehlt. Gleiches gilt für viele Experten-Workshops, die über neue Technologien in den Ministerien veranstaltet werden. Dabei braucht es gerade das  Zusammenspiel mit der Zivilgesellschaft, um Risiken neuer Technologien für unsere Gesellschaft zu minimieren und Chancen bestmöglich zu nutzen. Dies hat auch eine auswärtige Dimension: Eine Reihe deutscher und europäischer Firmen stellt Überwachungstechnologien her. Um die Meinungsfreiheit weltweit zu schützen und zu fördern, sollte sich die Bundesregierung endlich für ein europäisches und weltweites Verbot des Exports von Überwachungstechnologien einsetzen.

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