Raum voll Computerarbeitsplätzen an denen Mitarbeitende Daten Abgeschobenen aufnehmen
Digitaler Wandel

Digitalisierung – Fluch oder Segen für Entwicklungsländer

Mobiltelefone als mobile Bank in abgelegenen Gegenden, Apps als technische Helfer in der Landwirtschaft, eine Plattform für den Verkauf der Produkte von Kleinhändlerinnen und -händlern: Ist vom digitalen Wandel und Entwicklungsländern die Rede, ist die Euphorie oft grenzenlos. Doch unreguliert läuft die Digitalisierung Gefahr, die bestehende Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischen Globalem Süden und Norden zu verstärken.

Daten sind das neue Rohöl des 21. Jahrhunderts

Daten sind die Grundlage des digitalen Zeitalters. Während die großen Konzerne versuchen, ihre Macht über die Daten weiter auszubauen, wollen die Länder des Globalen Südens die Souveränitat über ihre Daten (zurück-)erlangen. Die Frage, wem zukünftig die Daten gehören, entscheidet, ob den Entwicklungsländern ein neuer, dann digitaler Kolonialismus droht oder nicht. Im Zuge der digitalen Innovationen in der Produktion fürchten einige Länder im Globalen Süden, dass sich die niedrigen Arbeitskosten als ihr Wettbewerbsvorteil relativieren und Produktionen in die reichen Länder zurückverlagert werden (Reshoring). Damit würde sich ihr Anteil an den industriellen Wertschöpfungsketten weiter verringern. Erste Studien bestätigen das.

Crowdworking: Faule Chance

Hoffnungen auf mehr Einkommen schien für Menschen im Globalen Süden zunächst das sogenannte Crowdworking zu machen - Arbeitsaufträge, die über Online-Plattformen einer großen Gruppe angeboten werden. Doch viele Crowdworker werden schlecht bezahlt und wissen nicht, ob sie Folgeaufträge erhalten. Da allein die Jobsuche auf den Plattformen äußerst zeitraubend ist, leisten sie zusätzlich viele Stunden unbezahlter Arbeit.

Außerdem suchen zu viele Menschen auf den Plattformen nach Arbeit - die Honorare werden dadurch gedrückt. Mitunter sind die Arbeitsbedingungen miserabel beziehungsweise die Arbeitsinhalte eine Zumutung, auf den Philippinen etwa spricht man von „digitalen Sweatshops“. Die Clickworker müssen sich täglich unzählige Bilder und Videos mit Gewaltszenen und Kinderpornografie ansehen, um den Online-Müll des Globalen Nordens zu beseitigen. Nach Einschätzung der internationalen Arbeitsorganisation ILO besteht für Menschen in Indien, Venezuela, Ägypten und anderswo durch Crowdworking das Risiko, in niedrig qualifizierter und schlecht bezahlter Arbeit gefangen zu bleiben.

Verlierer in digitalen Lieferketten

Die Digitalisierung globaler Lieferketten weckt bei zahlreichen Akteure aus der Entwicklungszusammenarbeit große Hoffnungen. Sie versprechen sich eine verbesserte Effizienz, mehr Produktivität und Transparenz sowie mehr Gewinne für die Menschen am Anfang der Lieferkette im Globalen Süden, beispielsweise Kleinbäuerinnen und -bauern. Das Beispiel ostafrikanischer Teeproduzenten zeigt allerdings, dass diese Hoffnungen nur zum Teil erfüllt werden. Wegen der Anbindung an das Internet hat sich die Kommunikation der Teepflückern mit Zwischenhändlern und Einkäufern auf dem Globalen Norden stark verbessert. Sie können auch ihre Arbeit effizienter gestalten. Die Lieferkette ist transparenter geworden, sodass beispielsweise Standards besser überprüft werden können. Doch das Einkommen der Teepflückerinnen und -pflücker ist nicht gestiegen. Warum?

Die zunehmende Datenmenge und erhöhte Transparenz verschaffen den Großeinkäufern eine bessere Übersicht darüber, wo Tee mit vergleichbarer Qualität sowie gleichen Arbeits- und Umweltstandards angebaut wird. Und die Anzahl potentieller Lieferanten, die gleichwertige Qualität anbieten, steigt . Internationale Unternehmen können sich nun auch kurzfristig entscheiden, bei wem sie den Tee kaufen. So haben die Großeinkäufer ihre Machtposition ausgebaut, die Situation der Teepflückerinnen und -pflücker in Kenia und Uganda hat sich dagegen verschlechtert. Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Trend. In globalen Produktionsprozessen fallen die größten Gewinne in die Produktionsphasen, die der Herstellung vor- oder nachgelagert sind. Das umfasst das Produktdesign, Blaupausen, Software oder Datenbanken. Diese Prozesse geschehen in der Regel durch transnationale Konzerne in den Industrieländern. Die Produzenten in den Ländern des Globalen Südens hingegen bekommen ein immer kleineres Stück vom Kuchen.

Profite vor allem im Globalen Norden

Ein Blick in die Digitalwirtschaft Afrikas weckt Zweifel, ob die dortige Welle von Unternehmensgründungen eine eigenständige Entwicklung befördert. Oft stehen hinter den erfolgreichen Start-ups Investoren aus Industriestaaten. Sie schöpfen einen großen Teil der Profite ab. Das zeigt das Beispiel des Bezahldienstes M-Pesa, der zur britischen Mobilfunkgesellschaft Vodafone gehört. Auch sind die sozialen Folgen der Geschäftsmodelle zum Teil fragwürdig. So bringen beispielsweise digitale Prepaid-Systeme für den Zugang zu sozialen Hilfen wie Ernährungszuschüssen teilweise Menschen sogar in Not, statt zu helfen.

Ein großer Teil der Digitalprojekte in Entwicklungsländern entfällt auf den wachsenden Sektor der Digital Finance, in dem sich Banken, Versicherungen, Kreditkarten- und FinTech-Unternehmen engagieren. Sie identifizieren über biometrische Datenbanken ihre Kundinnen und Kunden. Da in Entwicklungsländern häufig ein effektiver Datenschutz fehlt, kann das den Schutz der Persönlichkeitsrechte gefährden ‒ beispielsweise durch Datenlecks. Die Gestaltung einer fairen und Armut reduzierenden Digitalisierung gehört deswegen zu den größten Herausforderungen aktueller Entwicklungspolitik. Nur so kann Digitalisierung Entwicklung fördern.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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