Ein Lieferkettengesetz ist machbar
Zahlreiche europäische Konzerne sprechen sich für ein Lieferkettengesetz aus. Trotzdem stellen Wirtschaftsverbände immer wieder infrage, ob und in welchem Umfang ein Gesetz machbar ist. Sie haben in Deutschland bewirkt, dass das Lieferkettengesetz beispielsweise keine zivilrechtliche Haftung für die Unternehmen umfasst. Dabei sind viele Argumente gegen ein Lieferkettengesetz leicht zu entkräften, wie wir hier zeigen.
Falsch ist: Wegen Corona darf das EU-Lieferkettengesetz jetzt nicht kommen!
Die Auswirkungen des Coronavirus treffen uns alle. Die europäische Wirtschaft wurde von den notwendigen Einschränkungen stark getroffen. Immer wieder wird deshalb in Frage gestellt, ob es in dieser Situation wirklich ein Lieferkettengesetz braucht. Wir sind der Meinung: Gerade jetzt zeigt sich, dass internationale Solidarität besonders wichtig ist! Denn auch Menschen im Globalen Süden sind von der Krise betroffen – und ihre Situation ist oftmals dramatisch. In vielen Branchen ist die Nachfrage aus Europa und den USA eingebrochen. Für die Menschen, die am Anfang der Lieferketten arbeiten, hat das fatale Folgen: Umsatzeinbußen führen zu Entlassungen. Wer wegen Krankheit oder Ausgangsbeschränkungen nicht zur Arbeit gehen kann, bekommt oft keinen Lohn. Wo die Arbeit trotz Corona weitergeht, können notwendige Abstandsregeln oft nicht eingehalten werden. Das Ansteckungsrisiko ist deshalb besonders hoch. Ein Lieferkettengesetz würde Betroffene vor den wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie besser schützen.
Falsch ist: Es ist noch nicht erwiesen, dass ein Lieferkettengesetz notwendig ist
In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD und Union 2018 vereinbart, im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) deutsche Unternehmen auf freiwilliger Basis zur Achtung von Menschenrechten bei ihren Auslandsgeschäften zu befragen. Die Ergebnisse der ersten beiden Befragungsrunden aus dem Dezember 2019 und dem März 2020 haben gezeigt: weniger als 20 Prozent der Unternehmen erfüllt die Anforderungen an menschenrechtliche Sorgfalt – und das, obwohl die Teilnahme an der Befragung freiwillig war! Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Zahl in der dritten und letzten Befragungsphase noch signifikant ändert – dennoch wollen Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium erst nach Abschluss dieser Phase aktiv werden und hindern Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller daran, vorab Eckpunkte für ein mögliches Gesetz zu präsentieren. Dadurch wird der Prozess unnötig in die Länge gezogen!
Falsch ist: Kein anderes Land weltweit stellt so hohe Ansprüche
Ganz im Gegenteil: Die Idee für ein Lieferkettengesetz ist gar nicht so neu - ungewöhnlich ist eher, wie weit Deutschland hinter anderen Industrienationen hinterherhinkt: Frankreich hat im Februar 2017 ein Gesetz zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten französischer Unternehmen verabschiedet, das es ermöglicht, Unternehmen bei Verstößen zivilrechtlich zu belangen. Die Niederlande haben seit Mai 2019 ein Gesetz gegen Kinderarbeit, das Beschwerde- und Sanktionsmöglichkeiten enthält. Italien hat 2015 sein Unternehmenshaftungsgesetz um einen Katalog von Umweltvergehen und Menschenrechtsverletzungen ergänzt. In Großbritannien verpflichtet ein Gesetz gegen Moderne Sklaverei zur Berichterstattung und Maßnahmen gegen Zwangsarbeit. In Norwegen liegt seit Ende 2019 ein Entwurf für ein Lieferkettengesetz vor, der von den beiden größten Wirtschaftsverbänden unterstützt wird. In Australien gibt es seit 2018 ein Gesetz gegen Moderne Sklaverei und die USA legen Unternehmen seit 2010 verbindliche Vorgaben im Handel mit Konfliktmineralien auf. In der Schweiz, Finnland, Dänemark, Österreich und Luxemburg gibt es auf parlamentarischer Ebene oder in Regierungsvereinbarungen Vorschläge zur Verankerung verbindlicher menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten.
Falsch ist: Konzerne sollen für etwas haften, das sie nicht beeinflussen können
Haften müsste ein Unternehmen nur dann, wenn es selbst zu einer Menschenrechtsverletzung beiträgt, die vorhersehbar und durch angemessene Sorgfalt vermeidbar gewesen wäre. Ein Lieferkettengesetz müsste das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachten. Es könnte Konzerne also nicht zu unangemessenen Maßnahmen verpflichten und sie nicht für Ereignisse in Haftung nehmen, die sie nicht beeinflussen können. Beim deutschen Lieferkettengesetz fehlt aktuell leider die zivilrechtliche Haftung für Unternehmen, dass bedeutet, Angehörige von Todesopfern bei Unfällen in der Lieferkette beispielsweise stehen nach wie vor oft mittellos da.
Falsch ist: Produktionskosten würden durch das Gesetz erheblich steigen
Faire Bezahlung von Arbeiterinnen und Arbeitern führt zu höheren Lohnkosten. Trotzdem ist es möglich, dass die Produktionskosten für die einzelnen Unternehmen sinken, wenn die gesamte Branche zur Einhaltung der Menschenrechte entlang der Lieferkette verpflichtet wird. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die Mehrkosten für Unternehmen durch ein Lieferkettengesetz in einem überschaubaren Rahmen bleiben. Die Zeitschrift WirtschaftsWoche hat 2017 beispielsweise geschätzt, dass sich bei einem Mittelklassewagen mit einem Kaufpreis von 25.000 Euro die Mehrkosten für faire Rohstoffe (insbesondere Stahl, Kupfer, Aluminium und Platin) auf insgesamt etwa 200 Euro belaufen.
Falsch ist: Ansprüche und bürokratischer Aufwand sind viel zu hoch
Elementare Bestandteile von menschenrechtlicher Sorgfalt sind eine fundierte Risikoanalyse sowie ein konsequentes Risikomanagement. Sie sind keinesfalls zu anspruchsvolle Forderungen: Unternehmen garantieren bereits jetzt die Sicherheit und Qualität ihrer Produkte. Sie vereinbaren mit ihren Lieferanten Standards, exakte Lieferzeiten, Ausfall- und Entschädigungsklauseln. Daran lässt sich anknüpfen: Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten können in bestehende Abläufe integriert und bei Vertragsverhandlungen berücksichtigt werden.
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