Globaler Alltag Migration
Knapp 281 Millionen Menschen lebten 2020 als Migrantinnen und Migranten außerhalb ihrer Heimatländer. Migration ist globaler Alltag – für Saisonarbeiter, Fachkräfte, Studierende oder Menschen, die aus familiären Gründen umziehen. 90 Prozent der Migrantinnen und Migranten sind nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erwerbstätig beziehungsweise haben ein arbeitendes Familienmitglied, das sie mitversorgt.
Gründe für Migration
Wer beschließt, aus beruflichen Gründen, für das Studium oder der Liebe wegen in ein anderes Land zu ziehen, hat die Freiheit und die Möglichkeit, über sein Leben selbst zu entscheiden. Nicht jeder plant, gleich mehrere Jahre oder gar sein ganzes Leben am neuen Ort zu bleiben. Wo es möglich ist, pendeln viele zwischen verschiedenen Ländern. Wenn Migration selbstbestimmt ist, kann sie entwicklungsfördernd sein: Sie trägt durch Austausch von Kultur und Wissen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung sowohl in den Heimat- wie auch den Zielländern bei. Doch Migration hat Schattenseiten: Auch wer sich frei entscheidet, seine Heimat zu verlassen, kennt das Gefühl von Verlust und Entbehrung. Oft profitieren von den Vorteilen des Lebens und Arbeitens in einem neuen Land nicht die Migranten selbst, sondern erst ihre Kinder.
Die Beweggründe für Migration sind vielfältig, die Kosten und Risiken erheblich. Nicht selten zwingt auch die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen Menschen dazu, ihre Heimatländer zu verlassen. Zum Beispiel, weil ökologische Probleme und die Folgen des Klimawandels die wirtschaftliche Lebensgrundlage zunichtemachen und Geld, Technologie oder Wissen für die Anpassung an die veränderten Wetterbedingungen und Naturkatastrophen vor Ort fehlen.
Flüchtling oder Migrantin?
Die allermeisten Migranten sind keine Flüchtlinge. Auch haben die meisten Migrantinnen und Migranten andere Länder als Deutschland zum Ziel. Selbst ein genereller Trend Richtung Europa ist nicht erkennbar. Süd-Süd-Migration übersteigt die Migration aus dem Globalen Süden Richtung Norden, zum Beispiel von Indonesien nach Saudi-Arabien oder von Nicaragua nach Costa Rica. Erst an zweiter Stelle kommt die Gruppe derjenigen, die ihren Lebensmittelpunkt von Süden nach Norden verlegen, etwa von Marokko nach Spanien oder von den Philippinen nach Südkorea.
Die Unterscheidung zwischen Flucht und Migration ist oft nicht eindeutig zu treffen. Flüchtlinge können zu erfolgreichen Arbeitsmigranten werden, Migranten werden – zum Beispiel durch einen ausbrechenden Bürgerkrieg – zu Flüchtlingen. Staatliche Regelungen werden oft der Lebenswirklichkeit von Migrantinnen und Migranten nicht gerecht, sind hochproblematisch oder missachten gar die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die für alle Menschen gleichermaßen gilt.
Schattenseiten der Migration
Für viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten endet der Aufbruch in ein anderes Land in prekären Arbeitsbedingungen, in Ausbeutung und Abhängigkeit bis hin zur Sklaverei. Viele Millionen Bauarbeiter, Haushaltskräfte, Erntehelfer und Näherinnen arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen, sind Gewalt ausgesetzt und erhalten nur einen geringen oder unregelmäßigen Lohn. Heruntergekommene Massenquartiere und exzessive Arbeitszeiten sind vielerorts die Regel. Darüber hinaus werden viele Frauen zu Opfern sexueller Ausbeutung. Nicht selten werden Migranten auch von Schleppern oder Arbeitgebern Pässe und Ausweispapiere abgenommen, so dass sie nicht entkommen oder in ihre Heimat zurückkehren können.
Beispielhaft für solche kriminellen Bedingungen sind die Baustellen für die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Hundertausende Wanderarbeiter und -arbeiterinnen sind seit Jahren mit dem Bau der Stadien beschäftigt. Ihre Arbeitsplätze sind kaum gesichert und die Löhne schlecht. Seit der WM-Vergabe an Katar im Dezember 2010 sind nach Untersuchungen des Guardian mindestens 6.500 Menschen wegen der verheerenden Arbeitsbedingungen ums Leben gekommen.
Dabei gibt es völkerrechtliche Instrumente wie die Wanderarbeitnehmerkonvention der Vereinten Nationen sowie Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die Staaten dazu verpflichten, faire und menschenwürdige Arbeitsmigration zu garantieren. Doch praktisch bleiben diese Vereinbarungen oft folgenlos: Die große Mehrzahl der Staaten hat es bislang abgelehnt, die Wanderarbeitnehmerkonvention zu ratifizieren. Damit sich die Situation von Migranten und Migrantinnen verbessert ist es wichtig, dass diese über ihre Rechte Bescheid wissen. Schon bevor sie ihr Heimatland verlassen, sollten sie Kenntnis über ihre Aufenthalts- und Arbeitsrechte haben und wissen, wie sie sich gegen Ausbeutung und Missbrauch schützen können.
Die vermeintliche Bedrohung
Menschen, die ihr Leben durch Migration verbessern wollen, werden oft als „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert oder als „illegale Einwanderer“ kriminalisiert. Der polemische Ton vieler Debatten zeigt, dass es oft nicht um sachliche Gründe geht, sondern vielmehr um Furcht oder Feindlichkeit gegenüber Menschen, die als fremd erscheinen.
Die Arbeitsmigration von Entwicklungsländern in Industrieländer steht besonders häufig im Fokus der Kritik. So sei die ungesteuerte Migration von gering qualifizierten Menschen eine Gefahr für die Arbeitsmärkte in den reicheren Zielländern und führe zu einem unverantwortlichen Braindrain, also einem Mangel an Fachpersonal, in den ärmeren Heimatländern. Solche Einwände sind jedoch viel zu pauschal. Durch kluge Migrationspolitik können alle profitieren. Angesichts des demografischen Wandels sind viele Länder dringend auf Migration angewiesen, wenn sie ihr Wohlstandsniveau wahren wollen. Dazu kommen die gesellschaftlichen und kulturellen Zugewinne und Lerneffekte.
Viele Herkunftsländer von Migrantinnen und Migranten profitieren immens von den Geldüberweisungen („Remittances“) der Verwandten, die in der Diaspora arbeiten. Gemessen am Anteil des Bruttoinlandsprodukts sind Tonga (38 Prozent), Libanon (33 Prozent) und Kirgistan (29 Prozent) die drei größten Empfängerländer. Derzeit übertreffen diese Rücküberweisungen alle globalen staatlichen Entwicklungsgelder um das Dreifache. Im günstigsten Fall befähigen sie Familien und Gemeinden dazu, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern, indem sie ein Stück Land pachten oder ein Geschäft eröffnen können und dadurch von den Überweisungen und Migration unabhängiger werden. Darüber hinaus übermitteln Migrantinnen und Migranten auch Kompetenzen, Erfahrungen und Kontakte in ihre Herkunftsregionen. Manche kehren außerdem nach einer Weile in ihr Herkunftsland zurück, weil sich dort die Ausgangssituation verändert hat oder es sich aus ihrer Lebensplanung ergibt.
Leitlinien für eine menschliche Migrationspolitik
Durch bestehende nationale wie internationale Gesetzgebung werden vielerorts Freizügigkeit und Menschenrechte eingeschränkt. Auch die aktuelle EU-Migrationspolitik der Abschottung trägt dazu bei. So reisen nur relativ wenige Hochqualifizierte und Fachkräfte mit entsprechenden Aufenthaltstiteln in die EU-Staaten ein. Ganze Branchen sind auch von weniger qualifizierten Arbeitskräften, Saisonarbeitern und Erntehelferinnen abhängig. Für sie bedarf es ebenfalls legaler Migrationsmöglichkeiten, um Schwarzarbeit und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Es ist deshalb nötig, Leitlinien kluger Migrationspolitik zu formulieren.
Eine solche Migrationspolitik muss...
- ...Arbeitsmärkte für Migrantinnen und Migranten flexibel zugänglich machen, nicht nur für Hochqualifizierte und Fachkräfte, sowie für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und für eine Willkommenskultur sorgen;
- ...für einen Arbeitnehmerschutz sorgen, der internationalen Standards entspricht und vor Ausbeutung und Missbrauch genau wie vor Gefahren am Arbeitsplatz schützt;
- ...eine unabhängige internationale Migrationsberatung anbieten, um Migrationswilligen realistische Abwägungen und Entscheidungen zu ermöglichen;
- ...fair gestaltete Anwerbestrategien einfordern, um den Braindrain für die Herkunftsländer und Ausbeutung der Migrantinnen und Migranten zu vermeiden;
- ...flexiblere Möglichkeiten zur sogenannten zirkulären Migration bieten, sodass Migrantinnen und Migranten auch für längere Zeit in ihre Heimat zurückkehren können, ohne die Möglichkeit zu verlieren, zum Leben und Arbeiten erneut in das Zielland zu gehen oder sich in anderen Staaten aufzuhalten. So kann Migration Wissens- und Erfahrungstransfer befördern ("Braingain").
Brot für die Welt fördert die Umsetzung des Global Compact on Migration, der 2018 in Marakkesch verabschiedet wurde und wichtige Leitlinien für eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik formuliert. Zudem arbeitet Brot für die Welt mit lokalen Partnerorganisationen, die Migrantinnen und Migranten unmittelbar unterstützen, und stärkt andererseits auch migrationspolitische Netzwerke, die sich für die Menschenrechte von Migrantinnen und Migrantinnen auf der ganzen Welt einsetzen.
Ein Beispiel für diese Arbeit ist die Kooperation mit Partnern in Südostasien, wo hunderttausende Migrantinnen als Hausangestellte, Putzkräfte und Kindermädchen arbeiten. Ihr Lohn und ihre Arbeitsbedingungen sind meist höchst prekär, nicht selten werden sie Opfer von Ausbeutung und Missbrauch. Die von Brot für die Welt unterstützte Asia Pacific Mission for Migrants (APMM) klärt Migrantinnen in Workshops über ihre Rechte auf, erstellt Informations- und Bildungsmaterial, vermittelt finanzielle und medizinische Hilfe in Notsituationen, übt politischen Druck aus und vernetzt Migrations-Initiativen aus dem gesamten südostasiatischen und pazifischen Raum.
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