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"EU is business" – Gesetz zu kritischen Rohstoffen

Das EU-Parlament hat über den Critical Raw Materials Act (CRMA) abgestimmt. Wenn auch der EU-Rat zustimmt, kann das Gesetz zur Sicherung von Rohstoffen für die europäische Industrie im Jahr 2024 in die Umsetzung. Der Druck auf vom Bergbau betroffene Gemeinden im Globalen Süden wird sich dadurch weiter erhöhen.

Von Teresa Hoffmann am
EU-Flagge

„EU is business“ - so lautete die zentrale Botschaft der EU an die Industrie Mitte November 2023 in der von der EU- Kommission organisierten „Raw Materials Week“ in Brüssel. Zum Startschuss dieser Rohstoff-Konferenz, an der zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus der Industrie, Politik, Wissenschaft sowie der Zivilgesellschaft teilnahmen, wurde medienwirksam eine politische Einigung zum Critical Raw Materials Act verkündet. Jetzt, vier Wochen später, sind auch die letzten technischen Details des Gesetzes verhandelt und das EU-Parlament stimmt diese Woche über die Verordnung ab.

Ziel des Gesetzes: Rohstoffversorgung für die europäische Industrie

Die Covid 19-Pandemie und die Folgen des Kriegs in der Ukraine haben die Fragilität der internationalen Wertschöpfungsketten verdeutlicht. Seitdem ist die EU im internationalen Wettbewerb um kritische Rohstoffe in Alarmbereitschaft. Eine Antwort darauf ist das Gesetz zu kritischen Rohstoffen. Die potentiellen negativen Auswirkungen auf rohstoffreiche Länder im Globalen Süden werden dabei jedoch weitgehend außer Acht gelassen.

Das erklärte Ziel der Verordnung ist es, einen Rahmen zu schaffen, der „den Zugang der Union zu einer sicheren, widerstandsfähigen und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen gewährleistet“. Langfristig sollen Abhängigkeiten von wenigen Ländern durch die Diversifizierung von Rohstoffimporten, durch Förderung des Abbaus, der Weiterverarbeitung und Recyclingkapazitäten innerhalb und außerhalb der EU verringert werden.

Kernstück zur Umsetzung des Gesetzes sind so genannte „strategische Projekte“ im Bergbau, Recycling oder in der Weiterverarbeitung von strategischen Rohstoffen. Unter Einhaltung bestimmter Kriterien, zum Beispiel inwiefern das Projekt zur Versorgungssicherheit der EU beiträgt, kann ein solches Projekt von der EU politisch, finanziell und durch beschleunigte Genehmigungsverfahren unterstützt werden. Zehn Prozent des jährlichen Verbrauchs strategischer Rohstoffe sollen bis 2030 aus heimischem Bergbau stammen und 40 Prozent der Weiterverarbeitung soll in der EU stattfinden. Mindestens 25 Prozent des EU-Jahresverbrauchs soll durch die Recyclingkapazität der Union gedeckt werden. Nur wenige der 17 als strategisch deklarierten Rohstoffe, wie Kupfer und Aluminium, erreichen bereits heute höhere Recyclingquoten. Bei Lithium oder Magnesium hingegen – zwei wichtige Rohstoffe für die Herstellung von Autobatterien – werden aktuell nicht einmal ein Prozent erreicht. Darüber hinaus strebt die EU an, bei keinem der strategischen Rohstoffe eine Abhängigkeit von mehr als 65 Prozent pro Land (außerhalb der EU) zu erreichen. Aktuell ist die EU von diesem Ziel noch weit entfernt. Bei zahlreichen Rohstoffen bestehen große Abhängigkeiten von wenigen Ländern. Beispielsweise stammen etwa 97 Prozent des Magnesiums, das in der Auto-, Luftfahrt-, Militär-, IKT-Industrie verwendet wird, aus China, 78 Prozent des Lithiums aus Chile und 71 Prozent des Platins wird aus Südafrika bezogen. Besonderes Augenmerk liegt auf China: 100 Prozent der seltenen Erden, die für Permanentmagnete benötigt werden, werden in China raffiniert.

Chance für einen Paradigmenwechsel verpasst

Die EU hat endlich ein Recyclingziel von 25 Prozent der strategischen Rohstoffe, die in der EU verbraucht werden, erlassen. Zudem sollen Anstrengungen unternommen werden, den erwarteten Anstieg des Verbrauchs kritischer Rohstoffe durch die Förderung von Technologie und Ressourceneffizienz, zu reduzieren. Leider hat sie es aber versäumt, einen dringend notwendigen Paradigmenwechsel hin zu einer Rohstoffwende einzuleiten. Dafür wäre es nötig sich verbindliche Ziele zur Senkung des Primärrohstoffverbrauchs zu setzen. Denn unser hoher Rohstoffverbrauch hat weitreichende Folgen für vom Bergbau betroffene Gemeinden und die Umwelt in rohstoffreichen Ländern des Globalen Südens, aber auch in Europa.

Strategische Partnerschaften für die Rohstoffsicherung

Durch so genannte  strategische Partnerschaften, soll der Grundstein für eine engere Zusammenarbeit im Rohstoffsektor zwischen der EU und Drittstaaten gelegt werden. Es wurden bereits Absichtserklärungen mit Chile, Argentinien, Kasachstan, Namibia, Ukraine, Kanada, Sambia und der Demokratischen Republik Kongo unterzeichnet. Abkommen mit Norwegen und Grönland sind bereits in Vorbereitung und mit Australien ist man in Gesprächen. In Artikel 35 des Rohstoffgesetzes sind internationale Kooperationen verankert. Dieser schreibt fest, dass das Critical Raw Materials Board, ein Gremium, das im Rahmen des Gesetzes gegründet wird, regelmäßig über diese Partnerschaften diskutieren soll. Es soll beobachten, inwiefern die Partnerschaften zur Versorgungssicherheit der EU beitragen und die Achtung von Umweltgesetzen und deren Implementierung vor Ort sowie die Etablierung von Wertschöpfung vor Ort in den Blick nehmen. Allerdings bleibt der Artikel sehr vage. Die Partnerschaften ziehen keine rechtsverbindlichen Verpflichtungen nach sich, sondern haben (bislang) eher diplomatischen Charakter.

Neben der eigentlichen Zielsetzung der Kooperationen kritisiert die Zivilgesellschaft auch die große Intransparenz der Abkommen. Emmanuel Umpula Nkumba, geschäftsführender Direktor von der NGO African Natural Resources Watch (AFREWATCH), hat bei der Rohstoffwoche in Brüssel kritisiert: „In den Absichtserklärungen muss deutlich werden, was Wertschöpfung vor Ort heißt und was dies für die Menschen im Partnerland bedeutet. Wir brauchen eine offene Diskussion darüber. Aber wir als Zivilgesellschaft sind nicht Teil dieser Diskussion." Wenn die EU es mit einer Partnerschaft auf Augenhöhe zum Nutzen aller ernst meint, muss sie mit offenen Karten spielen und alle Akteure, auch die Zivilgesellschaft, an den Tisch holen.

Rechte indigener Völker verankert, EU Kommission in der Pflicht

Die Verankerung der Rechte indigener Völker im Critical Raw Materials Act ist von enormer Bedeutung, da ein Großteil der kritischen Rohstoffe sich auf oder in der Nähe von Territorien indigener Völker befindet. Nach langem politischem Ringen wurde die Deklaration der Rechte indigener Völker (UNDRIP) als Kriterium für strategische Projekte verankert. Die rechtsverbindliche und von Deutschland ratifizierte ILO-Konvention 169 (Übereinkommen über indigene Völker) wurde jedoch nicht in die Kriterienliste mitaufgenommen. Die EU Kommission muss deshalb bei der Prüfung von strategischen Projekten in Bezug auf indigene Rechte besondere Sorgfalt walten lassen. Sie muss besonders darauf achten, das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC) und das Recht, „Nein“ zum Bergbau zu sagen, zu respektieren. Karin Nutti Pilflykt vom Schwedischen Rat des nordeuropäischen Sami Volkes hat bei der Rohstoffwoche das verdeutlicht, was viele indigene Völker weltweit anmahnen: „FPIC ist keine Konsultation. FPIC ist das Recht auf Zustimmung, bedingte Zustimmung oder Verweigerung der Zustimmung.“

Die Rolle von Zertifizierungen

Die herausragende Rolle, die im CRMA Zertifizierungssystemen als Instrument zur Bewertung der Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien bei potentiellen strategischen Projekten zugeschrieben wird, ist alarmierend. Damit steht der CRMA im Widerspruch zu international anerkannten Standards, wie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und den UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Zertifizierungen sind nicht geeignet, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang globaler Lieferketten umfassend zu sichern. Das zeigt jüngst das Beispiel des marokkanischen Kobalt-Produzenten Managem, der unter anderem BMW und die Renault-Gruppe beliefert. Der Journalist Benedikt Strunz hat mit seinem Team die Umweltschäden und Arbeitsrechtsverletzungen in der Mine Bou Azzer aufgedeckt und beschreibt in einem  NDR-Interview, dass die Zertifikate mit der Realität vor Ort häufig nicht viel gemein haben und somit nicht verlässlich sind.   

Auch wenn im CRMA Mindestkriterien für die Anerkennung von Zertifizierungssystemen verankert sind (z. B. Multi-Stakeholder-Governance, umfassende Umweltrisikokriterien), um einen gewissen Mindeststandard zu gewährleisten, reiht sich der CRMA in einen bedenklichen Trend ein. Immer öfter werden Industrieinitiativen und Zertifizierungssystemen gesetzlich verankert. Die Verantwortung von menschenrechtlichen, arbeitsrechtlichen und umweltbezogenen Prüfungen an Dritte auszulagern, birgt die Gefahr eines Rückschritts in der Umsetzung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen, wie das Beispiel in der zertifizierten Mine Bou Azzer zeigt.

Schlussfolgerungen

Aus entwicklungspolitischer Perspektive kritisieren wir den Ansatz dieses Gesetzes. Der alleinige Fokus auf die Versorgungssicherheit der europäischen Industrie bei mangelnder Verpflichtung zur Reduzierung des eigenen Rohstoffbedarfs ist problematisch. Die mangelnde Verankerung und Verbindlichkeit im Kontext des Aufbaus von Wertschöpfungskapazitäten vor Ort birgt für die rohstoffreichen Länder im Globalen Süden die Gefahr, weiterhin billiger Rohstofflieferant für unsere Industrie und Absatzmarkt für teure - jetzt grüne - Industrieprodukte zu bleiben (siehe dazu Blogbeitrag: Europe first - auch in der Rohstoffpolitik). Die Chance der EU, endlich Verantwortung für ihren hohen Rohstoffverbrauch zu übernehmen und verbindliche Ziele zur Reduktion ihres Primärrohstoffbedarfs zu verankern, wäre ein wichtiger Schritt gewesen. Denn aktuell geht der Rohstoffverbrauch Europas zu Lasten von Menschen und der Umwelt in rohstoffreichen Ländern insbesondere im globalen Süden.

Damit Menschenrechts- und Umweltstandards trotzdem umgesetzt werden, muss nun ein ambitioniertes EU-Lieferkettengesetz verabschiedet werden. Es muss mit starken Haftungsregelungen und einer starken umweltbezogenen Sorgfaltspflicht ausgestattet sein und explizit Bezug nehmen zum Übereinkommen über indigene Völker (ILO Konvention 169) und der UN-Erklärung zum Schutz indigener Völker (UNDRIP).

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